Münsterländer lebt seit 45 Jahren in Paraguay

Bischof Lucio Alfert aus Heek über Heimat, Ureinwohner und sein Leben

Bischof Lucio Alfert ist in Heek geboren und aufgewachsen. Seit 45 Jahren lebt der Münsterländer in Paraguay und kämpft dafür, dass die Ureinwohner ihre Heimat und Kultur zurückgewinnen und bewahren können.

Anzeige

Daheim fühlt er sich durchaus in Heek, im westlichen Münsterland. Hier ist er 1941 als Ludger Alfert geboren, hier steht sein Elternhaus, in dem er mit sieben Geschwistern aufwuchs. Hier leben sein Bruder und die Familie. „Das Elternhaus und der Garten sind mit den Jahren schöner geworden. Die dicken Eichen im Wald meiner Kindheit größer“, sagt Bischof Lucio Alfert. „Doch sonst ist alles wie früher.“ Er komme gern nach Heek, aber „meine Heimat ist Paraguay“.

Ein Leitspruch seiner Mutter fällt ihm ein: „Wenn du das erste Mal mit dem Kopf gegen die Wand stößt, weißt du, wo dein Kopf zu Ende ist.“ Dort nämlich fange das Denken, Fühlen und Wollen der anderen Menschen an. Nur in der Beziehung mit dem Anderen könne man sich selbst verstehen und finden, sagt er. Seine Heimat sei deswegen Mariscal Estigarribia, die Stadt in der Trockensavanne des paraguayischen Chaco, 500 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Asunción.

 

Heimat bei den Menschen

 

Zehn der 17 Ureinwohner-Gruppen (Indigene) sind dort beheimatet. Seit 45 Jahren lebt Alfert in dem südamerikanischen Land. „Ein ganzes Leben“, wie er sagt. „Heimat ist, wo man sich zugehörig und verstanden fühlt, man akzeptiert wird, dieselben Werte und Wurzeln hat, wo man angenommen wird, wie man ist“, erklärt er. „Wo man Menschen kennt, zu denen man immer wieder hingehen kann. Wo man die eigene Identität entwickelt.“

Schon als Kind faszinierte ihn der Lebensweg einer Tante, die als Ordensfrau in Brasilien arbeitete. „Wir Kinder sparten für die Missionare.“ Dass er selbst in die Mission gehen wollte, war „schon immer klar“. Entsprechend stringent geht er seinen Weg. Nach dem Oblaten-Internat in Burlo absolviert er 1964 das Abitur auf dem Gymnasium in Borken.

 

Konsequenter Weg

 

Im selben Jahr beginnt er sein Noviziat bei den Missions-Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria (Oblati Mariae Immaculatae) in Engelport. Ein Jahr später nimmt er ein Theologie- und Philosophiestudium im hessischen Hünfeld auf. In Fulda studiert er weiter. 1972 ist sein Entscheidungsjahr: Er wird zum Priester geweiht, legt die Ewige Ordensprofess ab und geht als Missionar nach Paraguay.

Mariscal Estigarribia ist eine arme Stadt mit einem noch ärmeren Umfeld. Sie ist der Bischofssitz des Vikariats Pilcomayo. Plicomayo ist der Trennfluss zwischen dem argentinischen und dem paraguayischen Teil des Chaco. „Hier ist auch die erste Oblaten-Mission in Südamerika“, erklärt er. Alfert wohnt in keinem Bischofshaus, sondern lebt in einer Ordens-Kommunität mit einem Pfarrer.

 

Bischofsbüro in einer alten Kaserne

 

In den 31 Jahren seines Bischofsamts erledigt er die Büroarbeit in Räumen einer nahen Kaserne. Zurzeit sei er jedoch dabei, für seinen Nachfolger ein Bischofshaus zu bauen, schmunzelt er. Der könne schon Ende des Jahres in das Vikariat kommen, mutmaßt der 75-Jährige. Den Antrag auf Emeritierung hat Alfert bereits an Papst Franziskus nach Rom geschickt, „aber noch keine Antwort erhalten“.

Das Vikariat Pilcomayo ist so groß wie ein Drittel Deutschlands – 125.000 Quadratkilometer. Die Hälfte der 75.000 Einwohner sind Indigene, die sich in zehn verschiedene Gruppen mit fünf Sprachfamilien differenzieren. Die restliche Bevölkerung sind Mennoniten, Paraguayer, Ausländer.

 

Liebe zur Mutter Erde

 

Alfert sprich die Sprachen der indigenen Guaraní und Nivaclé. Letztere leben im Matriarchat. Jede ethnische Gruppe habe ihre eigene Vorstellung von Gott, sagt er. „Wir wollen sie nicht zu Katholiken machen.“. Die indianische Urreligion kenne keine festen Kultstätten. Ursprünglich seien die Menschen Nomaden gewesen. „Sie schätzen die Mutter Erde und das Land, in dem sie beheimatet sind.“

Um 1848 sind sämtliche Indios enteignet worden. Mit dem Einsatz der katholischen Kirche sei es aber 1992 gelungen, ihnen einen Teil ihres Landes zurückzugeben. „Über 120.000 Hektar besitzen sie wieder einen Landtitel.“  Die Gruppen benutzten das Gebiet als Gemeinschaftsgrund. „Wir haben dafür gesorgt, dass es nie wieder enteignet und verkauft werden kann, auch nicht, wenn jemand in wirtschaftliche Not gerät. Das würde dann viel zu leicht ausgenutzt.“

 

Kirche unterstützt Ureinwohner

 

Alfert ist Vorsitzender der pastoralen Indianer-Kommission (Coordinación Nacional de Pastoral Indígena) der paraguayischen Bischofskonferenz. Gemeinsam mit den Indigenen streitet er dafür, dass die Ureinwohner ihre Religion und Identität bewahren können. Durch die Lobbyarbeit sei mit viel Kampf eine Grundgesetzänderung erwirkt worden: „Im Artikel 1 wird jetzt das Existenzrecht der indigenen Gruppen garantiert, weil sie hier lebten, bevor der paraguayische Staat entstand.“

Die Kommission setze sich auch für den Erhalt der indigenen Kultur ein. „Wir wollen erreichen, dass die Indianer eigene Schulen, Lehrer und Curricula (Lehrpläne und -programme) haben dürfen.“ Kritisch beurteilt Alfert die Rolle deutsch-russischstämmiger Mennoniten, „die über viele Jahrzehnte die Indigenen nicht als gleichwertig erachteten“. Sie machen 25 Prozent der Bewohner im Vikariat aus. „Inzwischen gibt es aber auch Mennoniten, die sich für Indianerrechte einsetzten. Letztlich müssen die Indigenen für sich selbst sorgen“, sagt der Bischof.

 

Hilfe von Papst Franziskus

 

Einen Verbündeten hat er in Papst Franziskus, der bei einer seiner ersten Reisen 2015 Paraguay besuchte. Bei der Gelegenheit fragte Alfert, wann Rom liturgische Bücher in den indigenen Sprachen erlaube. Mit dem Argument, die Gruppen seien zu klein, sei das bisher nicht geschehen.

Zudem bat er, die Stellen von fünf fehlenden Bischöfen neu zu besetzen. Franziskus ermutigte nicht nur zum „provisorischen Gebrauch“ der Bücher in indigenen Sprachen, sondern auch zum neuerlichen Antrag auf Genehmigung. Zudem solle „der Nuntius zur Bischofssuche durchs Land fahren und Pfarrer angucken“.

 

Verantwortung der Laien

 

Zwei Diözesanpriester und zwei Ordensschwestern aus den Reihen der Indigenen gibt es in Paraguay. „Die ersten seit 500 Jahren.“ Lucio Alfert feiert selbst die Messe in Guaraní und Nivaclé. Das Gemeindeleben werde von den Gläubigen getragen. „Wenn ich in ein Dorf komme, frage ich erst einmal, was ich zu tun habe, statt umgekehrt.“

Letztens sei er in einen Gottesdienst gekommen. „Die Lesung war gelesen, die Predigt schon gehalten“, erinnert er sich. Da habe ein Gemeindemitglied gesagt: „Seit einer Viertelstunde sitzt unser Bischof da. Wollen wir mal hören, was er zu sagen hat.“

 

Wert der indigenen Tradition

 

Solche Erfahrungen schätzt Lucio Alfert. Mit Blick auf Deutschland vermisse er den Kontakt zu seinen Geschwistern. Er mag die Schützenfeste und genießt es, ehemalige Nachbarn und Klassenkameraden zu treffen. In Paraguay aber liebt er den Kontakt zu den Indios. „Wenn sie nicht ihr eigenes Land haben und ihren Lebensstil leben können, wäre das ein Verlust für die Kirche und Gesellschaft.“

Anzeige