Overbeck betont "das einzige wirklich unfehlbare Lehramt der Betroffenen"

Synodaler Weg: Große Mehrheit für Reform der Sexualmoral

Anzeige

Die kirchliche Sexualmoral, ihr Anspruch, aber auch das Leid, das sie bei Missbrauchs-Betroffenen und homosexuellen Menschen anrichtet: Darum ging es am Nachmittag des zweiten Tags der Synodalversammlung in Frankfurt. Trotz positiven Abstimmungsergebnisses: Erneut sorgte ein Bischof für massiven Widerspruch - und erhielt eine klare Entgegnung durch einen Mitbruder.

Mit einer überwältigenden Mehrheit hat sich die Synodalversammlung in Frankfurt für eine Reform der katholischen Sexuallehre ausgesprochen. 168 von 201 abgegebenen Stimmen haben dem vom entsprechenden Fach-Forum ausgearbeiteten Text nach Einarbeitung einiger Änderungen zugestimmt. Der Entscheidung war eine in großen Teilen von Erleichterung und Dankbarkeit geprägte Aussprache darüber vorangegangen, was das Forum in seiner Textvorlage vorbereitet hat.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser, einer der Vorsitzenden des Forums, betonte, Sexualität werde in dem Beitrag am Evangelium orientiert verstanden als "Sprache und Vollzug der Liebe". Damit bleibe man der christlichen Tradition treu. Sexualität mache Menschen "fähig zur sakramental unauflöslichen Ehe", die "wir ungebrochen jungen Menschen empfehlen wollen". Zugleich müsse der "übergroße Vorwurf" überwunden werden, die Kirche diskriminiere Menschen, "die nicht zur Ehe fähig sind".

Auch eine gleichgeschlechtliche Beziehung könne zu einem Weg der Nachfolge Christi werden, sagte Dieser. Dann aber müssten sie auch "einen Segen empfangen können, ohne eine Analogie zum Ehesakrament zu ziehen". Für einen solchen Segen hätten sich gerade erst 13.000 Menschen bei einer Unterschriftenaktion ausgesprochen.

Birgit Mock, ebenfalls Vorsitzende des Forums zur Sexualität, betonte: "Wir dürfen keinen Menschen von der Liebe Gottes trennen. Wir wünschen uns sichtbare Zeichen dieser Erkenntnis."

 

"Gott, mach, dass ich nicht so bin"

 

Er habe die katholische Sexualmoral als "toxisch" erfahren, berichtete Hendrik Johannemann, der sich in der Synodalversammlung dazu bekannte, schwul zu sein. Obschon er in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen sei, habe er immer wieder gebetet: "Gott mach, dass ich nicht so bin." Die Bischöfe rief er dazu auf, "Menschen wie mir eine solche Kindheit nicht noch einmal zuzumuten". Zugleich frage er sich, warum er mit seinem Partner keine sakramentale Ehe eingehen könne.

Auch dem in mehreren Jugendverbänden aktiven Synodalen Lukas Färber ging das Grundlagenpapier des Forums nicht weit genug: "Mir fehlt das Bewusstsein für LGBTIQ*-Menschen." Wenn Diskriminierung wirklich enden solle, müsse auch in der katholischen Kirche eine "Ehe für alle" möglich sein: "Möchten wir eine Kirche der Diskriminierung und der Gewalt oder eine der Gerechtigkeit im Sinn Jesu sein?", fragte er.

 

Kohlgraf: Homosexuelle sind nicht "die da"

 

Für eine positive Sicht auf Homosexualität sprach sich zwar auch der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann aus. Dass die katholische Lehre von der Sakramentalität der Ehe nicht-heterosexuelle Personen diskriminiere, sehe er nicht so. Bei der Ehe zwischen Mann und Frau handele es sich um "etwas ganz Grundlegendes der Kirche". Wiesemann äußerte auch die Sorge, ob eine Reform der Sexuallehre wirklich von allen akzeptiert würde.

Er nehme zwar den Katechismus sehr ernst, sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, der davon spreche, dass sich Menschen ihre Homosexualität nicht ausgesucht hätten und dass sich ihre Diskriminierung verbiete. "Das muss aber in eine Praxis kommen", forderte Kohlgraf. "Wir sprechen immer noch über 'die da', als gehörte sie nicht zu uns." Er rief dazu auf, mit homosexuellen Menschen zu reden und nicht über sie.

 

Oster: Sexualmoral will Menschen befreien

 

Sarah Henschke vom Bundesverband der Gemeindereferentinnen und -referenten erinnerte an die vielen Solidaritätsaktionen nach dem römischen Nein zur Segnung homosexueller Paare. Mehrere Generalvikare und Bischöfe hätten den Seelsorgenden signalisiert, sie müssten keine Konsequenzen fürchten, wenn sie diese Paare segneten. Dafür dankte sie, forderte aber zugleich, keine Mitarbeitenden zu entlassen, die in homosexuellen Beziehungen oder neuen Partnerschaften nach einer Trennung vom Ehepartner leben.

Der Passauer Bischof Stefan Oster betonte, die katholische Sexualmoral sei "ein Beitrag zur Befreiung des Menschen". Das wisse er aus vielen Gesprächen mit Menschen, die sich an diese Lehre hielten. Dem widersprach die Berliner Geschichtsprofessorin Birgit Aschmann: "Forschungsprojekte zeigen sehr deutlich: Die Geschichte der katholischen Sexualmoral ist ganz sicher keine Geschichte der Befreiung, sie ist eher eine Leidgeschichte."

 

Voderholzer klagt über Emotionalisierung durch Betroffene

 

Daran erinnerten besonders Johanna Beck und Kai Christian Moritz vom Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz. "Solange selbst drei Jahre nach der MHG-Studie aus deutschen Bischofshäusern negiert wird, dass Missbrauch systemische Ursachen hat und strukturell in unserer Kirche verankert ist, solange sind wir immer noch am Anfang unseres Weges", betonten sie in einem gemeinsamen Statement.

Erneut war es dann der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer, der mit seiner Äußerung für Empörung sorgte. Er kenne die "Tränen der Betroffenen" aus zahlreichen Gesprächen und lasse sich nicht nachsagen, unsensibel zu sein. "Aber ich lehne eine Emotionalisierung und das unfehlbare Lehramt der Betroffenen ab."

 

Overbeck: Dankbar für unfehlbares Lehramt der Betroffenen

 

Einige Synodale wiesen diese Formulierungen als "Frechheit", "sprachliche Gewalt" und "Ungeheuerlichkeit" zurück. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck stellte fest: "Wir sind Volk Gottes und können nur Licht der Welt sein, wenn wir mit den Tränen und den schwierigen Lebenssituationen so vieler Betroffener wirklich ernst umgehen, deshalb kann man auch vom Lehramt der Betroffenen sprechen. Das ist das einzige wirklich unfehlbare Lehramt, und dafür bin ich sehr dankbar."

Bischof Wiesemann bekannte, auch er habe vor zehn Jahren noch geglaubt, Missbrauche gäbe es nur als Einzelfälle. "Aber ich habe einen Lernprozess durchgemacht." Auch er nahm Bezug auf Voderholzers Äußerung, ohne dessen Namen zu nennen: "Es täte mir leid, wenn hier Bischöfe falsche, alte Gräben aufmachten. Das kann keiner von uns wollen."

Anzeige