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In seinem ersten großen Interview zeigte sich Leo XIV. beim Reizthema Sexualität zurückhaltend. Wie Rainer Teuber dazu steht.
Wie beurteilen Sie die Aussagen von Papst Leo XIV.?
Er sprach sich einerseits gegen eine Änderung der kirchlichen Lehre zur menschlichen Sexualität aus und will andererseits wie sein Vorgänger alle Menschen unabhängig von ihrer Identität willkommen heißen. Sofern sich aber die Lehre der Kirche zur Sexualität nicht ändert, sind nicht-heterosexuelle Menschen oder Menschen, die nicht dem binären Geschlechtermodell entsprechen, in dieser Kirche nicht willkommen. Wenn sich die Lehre der Kirche in dieser Sache nicht ändert, bleiben sie Christen und Menschen zweiter Klasse. Das schon von Papst Franziskus beschworene Bild einer Kirche, die als „Haus“ allen Menschen offen steht, wird also auf absehbare Zeit nicht Realität.
Dass alle LGBTQ-Themen zu einer Polarisierung in der Kirche führen würden, dass die traditionelle Familie manchmal gelitten habe und deswegen wieder gestärkt werden müsse – das zeigt, wohin die Reise in den nächsten Jahren geht. Letztendlich treibt man aber gerade dadurch die Polarisierung innerhalb der Kirche weiter voran. Die Debatte lässt sich nicht einfach so beenden. Die Forderungen nach einer Änderung der kirchlichen Sexualmoral bleiben weiter auf der Tagesordnung der reformorientierten Kräfte.
Was bedeuten diese Aussagen für die Kirche in Deutschland?
Längst nicht alle deutschen Diözesen setzen sich in gleichem Maße für Reformen ein, auch im Hinblick auf die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Wir sehen das aktuell bei der Arbeit und dem Engagement der Bischöfe im Synodalen Ausschuss. Von Einigkeit kann keine Rede sein. Dazu passt auch, dass bisher lediglich 11 der 27 Bistümer die Handreichung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare umgesetzt haben. Wir fürchten, dass Papst Leos Position die Uneinigkeit unter den Bischöfen noch verstärkt.
Er lehnt offenbar die in Deutschland und anderen Ländern Europas eingeführte Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ab, da sie „eindeutig“ gegen „Fiducia supplicans“ verstoße. Bereits diese Verlautbarung hatte 2023 hohe Wellen geschlagen, war aber nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Es gab klare Regelungen, wie diese Segnung auszusehen habe – angefangen von der Dauer bis hin zur Kleiderordnung des Paares. Letztendlich ein Segen zweiter Klasse.
Leo lehnt eine ritualisierte Segnung ab, da diese nicht der Lehre der Kirche entspreche. Da hilft es auch wenig und ist im Grunde gar verletzend, wenn der Papst anerkennt, dass „gleichgeschlechtlich liebende Paare keine schlechten Menschen sind“. Eindeutig widersprechen muss ich der Aussage, dass es wichtig sei „Menschen zu akzeptieren, die anders sind als wir, und zu akzeptieren, dass sie in ihrem Leben Entscheidungen getroffen haben, und dass wir sie respektieren“. Niemand entscheidet sich für seine sexuelle Orientierung. Das entspricht nicht den Erkenntnissen der Humanwissenschaften.
Hat man sich von deutscher Seite zu viel von Papst Leo XIV. erwartet?