Langjähriger Caritasdirektor Paul Schneider blickt im Interview zurück und nach vorn

100 Jahre Landes-Caritasverband Oldenburg: Warum und wo er nötig ist

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Ohne den Landes-Caritasverband hätte die oldenburgische Bistumsregion in den vergangenen 100 Jahren soziale Krisen kaum meistern können: etwa die Hilfe für Vertriebene und die Aufnahme von Flüchtlingen. Paul Schneider aus Vechta, lange Direktor der Caritas, sieht heute eine Fehlentwicklung: Der Staat überlasse zu viele soziale Arbeit einfach dem Markt.

Herr Schneider, was war in den vergangenen 100 Jahren vielleicht die größte Herausforderung der oldenburgischen Caritas?

Eindeutig die Flüchtlingshilfen und der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals sind 80.000 katholische Flüchtlinge hier in die Region gekommen, allein 60.000 nach Nordoldenburg. Da mussten die kirchlichen Dienste und Hilfe ganz neu organisiert werden. Die Caritas hat Unterkünfte geschaffen, Patenschaften zwischen Pfarrgemeinden vermittelt, für Lebensmittel- und Kleiderspenden gesorgt, Begegnungen und Arbeitseinsätze vermittelt. Gleichzeitig mussten zahlreiche Caritas-Einrichtungen wieder aufgebaut und neue geschaffen werden. Eine große Leistung der Oldenburger Caritas in dieser Zeit.

Wie hat sie das geschafft?

Man muss daran erinnern, dass dem Caritasdirektor damals nur eine Fürsorgerin und zwei Verwaltungskräfte zur Verfügung standen. Aber er hatte die vielen Ehrenamtlichen in den Pfarrgemeinden zur Seite, vor allem in Nordoldenburg. Da kamen sehr viele Ehrenamtliche aus den Reihen der gerade vertriebenen und geflohenen Menschen. Damals galt eindeutig: Solidarisch der Not begegnen!

Wo hat sich der Landes-Caritasverband später ähnlich beispielhaft eingesetzt?

Anfang der 1990er Jahre erlebten wir in der Region durch steigende Flüchtlingszahlen ähnliche Herausforderungen. Da haben wir statt der üblichen Containerdörfer eigene Flüchtlingsheime gebaut, bewusst unter sozialpädagogischer Leitung. Das führte zu einer nahezu problemlosen Lösung damals und war dann bundesweit als Modell angefragt. Großer ehrenamtlicher Einsatz und bewusste organisatorische Tatkraft haben die Caritas immer ausgezeichnet. Auch bei den vielen anderen Aufgaben.

Woran denken Sie?

Neben den laufenden Aufgaben in den für die kleine Region sehr vielen Diensten und Einrichtungen für alle Altersstufen, für viele Notlagen und Hilfen entstehen immer neue Aufgaben. Denken wir nur an die Jugendarbeitslosigkeit in den 1980er Jahren, der durch Caritas-Projekte beispielhaft begegnet wurde.

Braucht die Kirche überhaupt eine Organisation wie den Caritasverband?

Ganz sicher. Denn ohne planmäßiges und geordnetes Zusammenwirken der sozialen kirchlichen Dienste, ohne eine starke Außenvertretung und gemeinsame Basis können in unserem Staat die Dienste und Einrichtungen auf Dauer nicht erfolgreich sein.

Wo muss die Caritas hinter staatlichem Handeln, hinter dem Sozialstaat zurückstehen?

Der Sozialstaat ist natürlich für das Wohlergehen seiner Bürger verantwortlich. Aber für uns ist das Prinzip der Subsidiarität leitend. Und das sagt sehr klar, dass der Staat selbst nur dort tätig sein soll, wo freie Träger die notwendigen Angebote nicht leisten können. Leider wird dieses Prinzip immer weniger befolgt und im sozialen Aufgabenfeld dem Markt das Feld überlassen, um auf Kosten der Qualität und des Personals zu sparen. Was sich finanziell nicht lohnt, überlässt man dann den Wohlfahrtsverbänden.

Wo hat die oldenburgische Caritas sich an einem Problem versucht – und konnte es nicht meistern?

Da sehe ich immer wieder ein innerkirchliches Problem, wenn von Kirche und Caritas wie von etwas Getrenntem gesprochen wird. Dies zeigt deutlich, dass viele in der Amtskirche und in der Öffentlichkeit nicht verstehen, dass Caritas Dienst der Kirche ist und nicht ein nachgeordneter Verband. Das soziale Wirken des Christen, ob allein, in Vereinen und in Einrichtungen, das ist der Auftrag des praktizierten Christentums.

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