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Für Theologen hat die kritische Auseinandersetzung mit dem Blick in das Weltall Tradition. Seit dem Mittelalter aber hat sich viel geändert. Benediktinerpater Christoph Gerhard schaut vor dem Frühgebet gern in den klaren Himmel.
Sein Weg ist weit. Es geht über den Friedhof, vorbei an den Kuhställen, durch das hohe Gras beim Kaninchengehege in Richtung Biogas-Anlage. Die kleine Holzhütte erreicht er nur über Steinplatten im unebenen Untergrund. Einige Schlösser muss Pater Christoph Gerhard öffnen, bis er die Türen zur Seite schieben kann – dahinter ein Raum, etwa sechs Quadratmeter groß. Unerwartetes kommt zum Vorschein: mehrere Teleskope auf einem motorisierten Untergestell, weitere Technik, Computer. Das Dach schiebt er mit der Hand zur Seite. Der Rest ist höhere Mathematik.
Der Benediktiner müsste den langen Weg nicht machen. Vom Bett in seiner Klosterzelle aus könnte er mit dem Laptop alles bedienen. Koordinaten, Konstellationen, Korrelationen – alles kann er dort abrufen und eingeben. Er könnte Sternbilder berechnen, Planeten verfolgen, Asteroiden erkennen. Aber er steht dafür lieber auf. Oft nachts um zwei Uhr, wenn die Dunkelheit die besten Voraussetzungen für den Blick in den schwarzen Himmel schafft. Manchmal aber auch am Tag, wenn die Sonne ihm spannende Bilder liefert. Dabei hat er die komplizierte Technik lieber in die Hand als nur auf dem Bildschirm. Vielleicht weil er die Objekte seiner Begeisterung niemals berühren können wird. Sie liegen zum Teil Milliarden Lichtjahre entfernt.
Glühende Gaskugeln
Die Benediktinerabtei im fränkischen Münsterschwarzach ist kein wissenschaftliches Institut, kein Observatorium. Sie ist Ort von Besinnung, gelebtem Glauben, Spiritualität. Steht seine Holzhütte hier richtig? Zweifel daran begegnet der 51-Jährige mit einem Satz: "Für mich ist die Astronomie kein naturwissenschaftliches Hobby, sondern ein geistlicher Weg." Hier Fakten und Daten, logisch und empirisch zu belegen – dort der Glaube, voll mit Mystik und Unerklärbarem. "Ja, das geht zusammen", sagt er und zitiert den Physiker und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker: "Sterne sind glühende Gaskugeln, und Gott ist gegenwärtig."
Tipps für Einsteiger
Pater Christoph rät: "Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen. Wer sich mit dem Kosmos beschäftigt, kann nicht mit detaillierten Beobachtungen am Rand des Universums beginnen. Der einfache Blick in den Himmel reicht am Anfang – ohne technische Hilfsmittel. Ein Liegestuhl und eine sternklare Nacht können der Beginn einer großen Begeisterung sein. Dabei merken die Menschen schnell, dass jeder Augenblick seinen eigenen Sternenhimmel hat.
In einem zweiten Schritt ist es vielleicht schon ausreichend, ein einfaches Fernglas in die Hand zu nehmen. Erst dann sollte man sich an die größeren Teleskope heranwagen. Ein stabiler Untergrund ist dafür notwendig, weil die große Entfernung sonst starke Wackler des Bildes verursachen. Ich empfehle, beim Kauf auf die billigen Angebote aus dem Kaufhaus zu verzichten. Ein gutes Teleskop gibt es ab etwa 1000 Euro.
Entscheidend ist auch der Blick aufs Wetter. Ich schaue immer mehrere Vorhersagen und Satelittenbilder an, bevor ich mir den Wecker stelle. Zudem sind Informationen über Sternbilder und -konstellationen wichtig. Bücher und Internetseiten gibt es viele. Der Austauch mit anderen Astronomen gehört auch dazu. Es gibt regionale Treffen und Foren im Internet. Es geht darum, Freude zu teilen, Ideen zu finden und technische Fragen zu besprechen."
Das Gottesbild von Pater Christoph kann nicht naiv sein. Zu weit hat er sich in jene Sphären vorgearbeitet, an deren Grenzen für andere Menschen Mystik beginnt. Für Kinder stehen die Lichter am nächtlichen Himmel oft für verstorbene Verwandte oder Babys, die bald geboren werden. Auch Erwachsene erhalten sich gern den Glauben daran, dass dort oben im Himmel Gott ist. Dort, wo Erklärbares aufhört, ist Platz für das Unerklärliche. Da beginnt Glauben.
Wo kann Gott sein?
Pater Christoph hat diese Grenze massiv verschoben, aber nicht von heute auf morgen. Sein Blick in die Weite des Universums begann schon als Kind. Mit zwölf Jahren, an einem Dorfrand in Unterfranken, wo sein Elternhaus stand. "Dort war es nachts noch richtig dunkel, kein künstliches Licht störte den Blick in den Himmel." Sein Onkel erklärte ihm die Sternbilder. Er kaufte sich Hefte mit Abbildungen der Planeten-Konstellationen. Er war begeistert von den ersten Raumfahrern jener Zeit und betete für die Opfer, als 1970 das Raumschiff Apollo 13 explodierte. Von seinem ersten Job in einer Lackiererei kaufte er sich sein erstes Teleskop. "500 Mark, unheimlich viel Geld – vier Wochen habe ich dafür zehn Stunden am Tag gearbeitet."
Seine Begeisterung war technisch-mathematischer Natur. Der Kosmos und seine Evolution wurden zur Zahlenreihe. Zum Glauben, den ihm sein Dorfpfarrer vermittelt hatte, passte das nicht. "Die wörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte ließ ich immer mehr hinter mir", sagt der Benediktiner. "Ich begann, viele Dinge zu hinterfragen." Wo kann Gott sein, wenn das Unerklärliche plötzlich erklärbar wird? Damals diskutierte er viel darüber, etwa in der Kolpingjugend, in der er aktiv war.
Es war der Beginn seiner theologischen Auseinandersetzung mit den Sternen. Seinem Studium der Elektrotechnik ließ er das Studium der Theologie und Philosophie folgen. 1987 trat bei den Benediktinern in Münsterschwarzach ein. Da hatte er seinen naiven kindlichen Glauben längst über Bord geworfen. "Weil ich etwas Neues in der Hand hielt, tat das nicht weh", sagt er. "Ich hatte etwas Besseres, etwas Gehaltvolleres gefunden."
Vorstellungen anpassen
Seine Vorstellungen von Gott hatten nach und nach neue Nahrung bekommen. "Das Licht braucht unvorstellbare 13 Milliarden Jahre, um einmal das Universum zu durchqueren", rechnet Pater Christoph. Zahlen, die Gott für ihn immer weiter wachsen ließen. Und nie reichten die naturwissenschaftlichen Erklärungen, um diese Größe zu beschreiben. "Alles Neue was ich fand, blieb letztlich unzureichend – ich musste und muss meine Vorstellungen immer wieder neu anpassen."
Welche Vorstellung ist Pater Christoph bei seinem Weg an den Rand des Universums geblieben? "Die göttliche Dimension ist eingerollt in unseren Dimensionen", sagt er und erklärt: "Er ist in allen Dingen, in jedem Stern der Milchstraße genauso wie in jedem Atom auf unserer Erde." Genau das macht Gott für ihn so gigantisch. "Ich kann keinen verstehen, den das nicht aufwühlt."
Viel Technik, viele Erkenntnisse: Pater Christoph findet im Universum auch Antworten auf Glaubensfragen.
Am Ende kann nur Gott Licht bringen
An dieser Stelle spürt der Benediktiner das, was er "reelle Mystik" nennt. "Weil sie für mich immer wieder mit der Wirklichkeit zu tun hat." Mit neuen Erkenntnissen und neuen Schlussfolgerungen. Bei allen sichtbaren, leuchtenden Sternen – am Ende bleibt eine Dunkelheit, auf die er sich einlassen muss. "Dann fällt mir nichts mehr ein, dann muss ich vertrauen." Nur Gott kann dann Licht bringen, sagt Pater Christoph und meint das ganz konkret, nicht nur für den Blick durch das Okular seines Teleskops. "Es gibt im Leben so viele Situationen, die wir nur mit der Hoffnung auf göttliches Wirken aushalten können."
Er spürt das. Im Alltag, bei seiner Arbeit in der Verwaltung des Klosters mit fast 100 Benediktinern. In der Begegnung mit den vielen Menschen, denen er auf dem Abteigelände begegnen kann, etwa den Schülern des angeschlossenen Gymnasiums. Und eben bei seinen Blicken in den Sternenhimmel: Als er sich in einer klaren Winternacht mit besonders guter Sicht den Wecker stellte, um lange vor dem Frühgebet aufzustehen, mummelte er sich dick ein und machte sich auf jenen Weg zur Hütte am Rand des großen Abteigeländes. Dort verharrte er mit viel Geduld stundenlang in der Kälte, um plötzlich eine hell leuchtende Galaxie zu entdecken, die in intensiven Farben strahlte. "Das war so ein Moment, als ich mich dem Schöpfer sehr nahe fühlte." Ein Dankesgebet folgte. Und ein Freudentanz.