Was die Olympischen Spiele für Familien aus Favelas bedeuten

20 Sieger, 563 Verlierer

Hektik vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro: Die Herren der Ringe putzen den Olympiapark im Stadtteil Barra heraus.

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Hektik vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro: Die Herren der Ringe putzen den Olympiapark im Stadtteil Barra heraus. Vor den 20 Häuschen der Siedlung im Schatten des mächtigen internationalen Pressezentrums wird noch schnell Rasen verlegt. Die letzten Familien der Vila Autodromo zogen hier Ende Juli ein. Sie dürfen bleiben.

Maria da Penha fühlt sich irgendwie als Siegerin, "so halb wenigstens". 20 Familien hätten ihr Ziel erreicht, auf ihrem Grund und Boden wohnen bleiben zu dürfen. "Aber mehr als 560 Familien haben wir verloren." Die 51-Jährige ist zum Symbol des Widerstands gegen staatliche Willkür geworden. Unzähligen Journalisten hat sie Interviews gegeben, vor einigen Wochen war sie sogar in Europa, um von ihrem Einsatz zu berichten.

 

Häuser wurden zwangsgeräumt

 

"Zweieinhalb Jahre musste ich kämpfen, weinen, man hat mir die Nase gebrochen. Ich konnte nicht schlafen, weil ich nie wusste, was der nächste Tag bringen würde." Dabei haben die Bewohner der Vila Autodromo ein vom Staat verbürgtes Wohnrecht für 99 Jahre, verlängerbar um weitere 99. "Wieso wollte man mich zwingen, dieses Recht aufzugeben und zu verkaufen?" Die Stadt tat genau das. Ärmliche Häuser neben dem Olympiapark – das passte den Verantwortlichen nicht.

Auf ihrem Laptop hat Maria Fotos vom 3. Juni 2015. Die Bewohner wollten damals Polizisten daran hindern, ein Haus gewaltsam zu räumen. Ein Schlagstock traf ihr Gesicht, sie blutete, ihr linkes Auge schwoll zu. "Die Regierenden haben keinen Respekt vor armen Familien", sagt sie. Man habe sie wie Banditen behandelt, "das war erniedrigend".

 

Nach und nach gaben die Familien auf

 

Aber der 3. Juni habe den Kampf um das Überleben der Vila Autodromo befeuert, "die nationale und internationale Presse wurde auf uns aufmerksam", sagt sie, "auf die Polizeigewalt und die Ungerechtigkeit". Trotzdem verlangte Rios Bürgermeister Eduardo Paes, die Häuser aufzugeben. Er bot Entschädigungen an. Wer wollte, konnte in Sozialwohnungen ziehen, die an Rios Peripherie errichtet wurden.

Papst hofft auf "guten Wettkampf"
Franziskus hofft auf gute Impulse von den Olympischen Spielen. In einer Welt, die nach Frieden, Toleranz und Versöhnung dürste, solle der olympische Geist Teilnehmer wie Zuschauer zu einem "guten Wettkampf" ermutigen, sagte er. Wichtiger als Medaillen seien Solidarität und Achtung ohne Rücksicht auf Kultur, Hautfarbe oder Religion. Dem von sozialen und politischen Problemen gebeutelten Brasilien wünschte er, das Sportereignis möge der Nation helfen, ihre Schwierigkeiten zu überwinden und sich "in Teamarbeit für den Aufbau eines gerechteren und sichereren Landes einzusetzen".

Nach und nach gaben die Familien auf, bis von 583 noch 20 blieben. Vor vier Monaten riss die Stadtverwaltung auch Marias Haus ab, "das ich mit meinen eigenen Händen gebaut hatte". Sie zog zu Nachbarn, wollte bleiben. Im April kapitulierte Paes – der politische Preis war zu hoch, Rios Image drohte unter den Bildern von Zwangsräumungen zu leiden.

 

Nur noch Ruinen übrig

 

Nun ziehen die letzten Familien in die 56 Quadratmeter großen Häuser, die Paes im Schnelltempo hat bauen lassen. "So schön und groß wie mein altes Haus ist es nicht, aber wir werden wieder Bäume pflanzen und es wohnlich gestalten", sagt Maria. Um die Siedlung wurde eine weiße Mauer gezogen, drumherum säumen rote Erde und Bauschutt das Bild.

Von der Vila Autodromo sind nur ein paar Ruinen übrig, sie werden zum Olympia-Start verschwinden. Auf ein verrostetes Eisentor hat jemand "Apartheid" geschrieben, auf einer halb eingestürzten Wand wird "Gerechtigkeit" gefordert. "Rio wurde an die großen Baufirmen verkauft", kann man lesen. Das Wäldchen, das die Häuser umstellte, ist verschwunden, der kleine Fluss am Rande des Grundstücks kanalisiert.

 

Fast wie Eindringlinge

 

Verloren wirkt die neue Siedlung neben den gigantischen Olympia-Bauten. "Wir fühlen uns hier schon irgendwie als Eindringlinge, und das auf unserem eigenen Grundstück", sagt Maria. Aber die Häuser seien ja ein Symbol für den erfolgreichen Widerstand: Ein Wohnzimmer, zwei weitere kleine Zimmer, ein enges Badezimmer, eine Küche, ein kleiner Garten.

Verstanden habe sie die Vertreibungsaktion nie. "Wir störten den Olympiapark nicht, die Spiele hätten auch so reibungslos ablaufen können." Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hätte Brasiliens Politiker stoppen müssen, meint sie. "Das IOC muss den Regierenden mehr auf die Finger schauen, muss sich genau überlegen, wo man solche Spiele abhält. Und erstmal die Bevölkerung fragen, was die davon hält."

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