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Nach dem Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts stand auch das Altenheim St- Pius-Stift Cloppenburg vor grundsätzlichen Fragen. Ein neu gegründetes Ethikkomitee formulierte eine Orientierungshilfe mit Antworten. Die Verantwortlichen stellen das Projekt am 24. November bei einer Tagung vor.
Aloys Freese kennt solche Fälle aus dem Alltag der Altenpflege. Der Pflegedienstleiter im St.-Pius-Stift Cloppenburg berichtet von Bewohnern, die sterben wollen. Sie sehen keinen Ausweg mehr für sich, sie klagen ihr Leid bei den Pflegekräften. „Wie reagiert man dann?“, fragt Freese. „Ganz konkret: Wenn eine Bewohnerin das Essen und die Tabletten verweigert?“ Eine alltägliche, aber schwierige Frage, so Freese. Denn: „Wie zeigt man gerade als katholisches Heim da sein Profil?
Solche Sterbewünsche wurden im Winter 2020 besonders brisant: Ende Februar formulierte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Das war der Anlass für ein besonderes Projekt im Piusstift, das dieses Jahr verwirklicht wurde: ein „Ad-hoc-Ethikkomitee“, das von Fall zu Fall zusammenkommt. Um Empfehlungen und Antworten zu finden für grundsätzliche Fragen der Pflege.
Acht Seiten zur ersten Orientierung
Ein Komitee, das aus vier Männern und 18 Frauen besteht, die im Heim arbeiten und den Alltag dort genau kennen. Inzwischen haben sie eine „Ethische Orientierungshilfe“ zu diesem Thema formuliert. Der Titel: „Mit Sterbe- und Selbsttötungswünschen umgehen statt sie zu umgehen“. Acht Seiten lang, mit einer genauen Beschreibung der Ausgangslage und Überlegungen, wie ein katholisches Heim bei solchen Sterbewünschen handeln kann.
Durchaus vielschichtig formuliert, aber mit dem Kerngedanken „Leben achten und Leiden lindern, Schmerzen verhindern“. Die Broschüre steht allen rund 600 Pflegekräften zur Verfügung, die in Heimen auch in Molbergen und Emstek und in einer Sozialstation arbeiten. Sie versorgen rund 1.000 Pflegebedürftige.
Heim sucht Rat bei Experten
Sie liegt bei den Pflegekräften in allen Wohnbereichen: Peter Sandker und Aloys Freese mit der Liste der Fallmoderatoren im Piusstift Cloppenburg. | Foto: Franz Josef Scheeben
Peter Sandker ist Ausbildungsleiter im Piusstift, als Ständiger Diakon mit Zivilberuf aber auch Seelsorger im Heim. Er gehört wie Freese auch zu dem 22-köpfigen Kreis. Sie haben als Berater den Ethik-Experten des Landes-Caritasverbands für Oldenburg, Stefan Kliesch, zu den Gesprächen geholt.
Dass ein Komitee sich reibungslos zusammenfinden konnte, hat mit der besonderen Geschichte des Piusstifts zu tun. Bis 2006 haben dort Thuiner Franziskanerinnen die Verantwortung in der Pflege getragen. Sandker erinnert sich: „Wenn es mal schwierige Fragen wie Sterbewünsche von Bewohnern gab, gingen alle einfach zu den Schwestern.“ Seelsorge und katholisches Profil – unausgesprochen sei das wie Sache der Schwestern gewesen.
Als die Schwestern weg waren
Damit war es nach dem Abschied der Schwestern vorbei. „Das war eine Zündung im Heim“, erinnert sich Sandker. Weil sich die Pflegekräfte nun auch selbst klar werden mussten, wie sie reagieren wollten.
Ergebnis: Das Piusstift bildete damals Mitarbeiterinnen zu ehrenamtlichen Hospizhelferinnen aus. Und es organisierte eine Palliativbegleitung für Sterbende. Für die grundsätzlichen Fragen dort schulte das Heim „ethische Fallmoderatoren“, 22 inzwischen. Ihre Liste liegt bei den Pflegekräften in jedem Wohnbereich.
Im Ernstfall vermitteln sie
Denn die Moderatoren stehen zur Verfügung, wenn dort ein solches Problem auftritt und Rat gebraucht wird. Sie rufen dann Angehörige, Pflegekräfte und andere Betroffene zusammen und beraten im kleinen Kreis. Damit der sich über eine Entscheidung klar wird.
Das neue Ethikkomitee war deshalb schnell gegründet: Die 22 geschulten Männer und Frauen standen sofort bereit. Offensichtlich ein regionales Modellprojekt. denn Sandker und Freese kennen keine wirklich vergleichbaren Konzepte in Heimen der Region.
Deshalb wohl wurden sie gebeten, ihre Arbeit mit ethischen Fallmoderatoren und Ethikkomitee am 24. November in der Katholischen Akademie Stapelfeld. vorzustellen. Im Rahmen einer Tagung zum 101-jährigen Jubiläum des Landes-Caritasverbands für Oldenburg. Deren Thema: „Profil gewinnen, Profil gestalten?“.
Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 sowie 116 123 täglich rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Der Mailverkehr läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.