Coesfelderin wird Provinzoberin der Schwestern Unserer Lieben Frau

22 Jahre Frühchen-Station: Seelsorgerin Schwester Paula zieht Bilanz

Schwester Paula auf der Station für Frühchen der Christophorus-Klinik in Coesfeld. | Video: Michael Bönte

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Schwester Paula Wessel war 22 Jahre Seelsorgerin in der Christophorus-Klinik in Coesfeld. Besonders auf der Frühchen-Station hat sie die Kinder und ihre Familien begleitet. Nun wird sie Oberin für die europäische Provinz der Schwestern Unserer Lieben Frau. Sie verabschiedet sich damit von einer Herzensangelegenheit – nicht ohne Vorfreude auf die neue Aufgabe.

Allein die Zahlen lassen staunen: 22 Jahre hat Schwester Paula Wessel als Seelsorgerin auf der Frühchen-Station der Christophorus-Klinik in Coesfeld gearbeitet. Sie kann mittlerweile die Kontakte zu den Familien der Kinder nur noch hochrechnen, die in einer so frühen Schwangerschaftswoche auf die Welt kamen, dass sie intensivmedizinisch betreut werden mussten. „Tausende“, sagt sie. Und meint tausende Schicksale, tausende Extremsituationen, tausende existentielle Momente – tausende schöne und traurige Entwicklungen.

„Es sind nicht die Zahlen“, sagt die Ordensfrau von den Schwestern Unserer Lieben Frau. „Das Entscheidende lässt sich nicht beziffern.“ Weil es nicht zu quantifizieren ist: „Es ist der Zusammenhalt, das gemeinsame Aushalten von Ohnmacht.“

Das ist in ihren Augen „eine ganz, ganz hohe Qualität“, die sie in den vielen Jahren ihrer Seelsorge-Arbeit im Krankenhaus erleben konnte. „Mir geht immer noch das Herz auf, wenn ich daran denke, dass ich hier nie Einzelkämpferin war, sondern wir im Team aus Ärzten, Pflegerinnen und Seelsorgerinnen diese Momente gemeistert haben.“

Mit nur wenigen hundert Gramm auf die Welt

Es gab viel zu meistern. Wenn Kinder mit nur wenigen hundert Gramm auf die Welt kommen, wenn sie ihre ersten Tage nur mit Hilfe intensiver Medizin überleben, wenn die noch schwachen Körper von Krankheiten und Fehlentwicklungen bedroht sind – dann bringt das große Härten mit sich. Für die Eltern, für die ganze Familie, aber auch für alle Beteiligten auf der Krankenstation.

Nicht immer gibt es ein gutes Ende. Auch das kann und will Schwester Paula nicht beziffern. Aber: „Ich habe viele Menschen hier trauern sehen, habe sie in ihren schwersten Stunden begleitet, habe Säuglinge beerdigt.“

Für Eltern kaum auszuhalten

Wie hat sie diese Belastung ausgehalten? Die Frage lässt sie so nicht stehen. Sie relativiert ihren persönlichen Ballast: „Ich habe davon immer so viel mit nach Hause genommen“, sagt die 65-Jährige und zeichnet mit ihren Händen ein kleines Rechteck.

Dann breitet sei die Arme weit aus: „Die Eltern aber nehmen so viel mit, dass es eigentlich nicht auszuhalten ist.“ Ihr hat ihre intensive Ausbildung für die Seelsorge auf diesem Gebiet geholfen – und ihr Glaube. Nur deshalb konnte sie in diesen Momenten an der Seite der Angehörigen aushalten. Und stark sein.

Klerikale Sprache musste sie sich abgewöhnen

Wie das gelingen kann, ist so unterschiedlich wie die Reaktionen der Menschen in diesen existenziellen Augenblicken, sagt Schwester Paula. Sie musste vor 22 Jahren schnell lernen, dass sie mit der klerikal anmutenden Sprache einer Pastoralreferentin nicht weit kam.

„Die konnte ich mir abschminken, ich musste immer wieder neue Kommunikationsformen finden, mit denen ich die Betroffenen erreichen konnte.“ Einfach mit dem „lieben Gott“ konnte sie da nicht kommen. Trotz des Ordensgewands – sie ging mit größtmöglicher Offenheit auf die Menschen zu. „Da habe ich alles an Reaktionen erlebt, miterlebt und mittragen können.“

Es gab auch schöne Momente

Hin und wieder besucht Schwester Paula immer noch das neue Perinatal-Zentrum der Christophorus-Klinik. Auch ohne Ordenstracht wird sie sofort erkannt. Pflegerinnen, Ärzte und Service-Mitarbeiter suchen das Gespräch mit ihr. Es ist zu spüren, dass bei aller besonderen Schwere der Aufgaben auf dieser Station eine lebensfrohe Atmosphäre herrscht.

Denn – und das ist ihr wichtig: „Es gibt hier auch so viele wunderbare Geschichten.“ Nach einem Beispiel muss sie nicht lange suchen: „Wenn ich an der Ambulanz vorbeigehe und eine Mutter sitzt mit ihrem 1,80 Meter großen Sohn dort und erzählt mir, dass dieser Junge einmal das Frühchen mit 780 Gramm auf unserer Station war.“

Herzblut für alte, Begeisterung für neue Aufgabe

Und jetzt der große Schnitt. Nach 22 Jahren wechselt sie von den kleinsten Menschen zu den zumeist betagten Ordensfrauen ihrer Gemeinschaft. Oberin für die europäische Provinz der Schwestern Unserer Lieben Frau wird sie und übernimmt damit die Leitung von 170 Schwestern in unterschiedlichen Ländern Europas.

„Sicher, das ist eine beträchtliche Veränderung“, sagt Schwester Paula. „Ich beende eine Aufgabe im Krankenhaus, in die mein Herzblut geflossen ist.“ Der neuen Herausforderung sieht sie aber mit nicht weniger Begeisterung entgegen. „Ich gehe sie nicht gezwungenermaßen an, sondern innerlich frei.“

Und mit jener offenen Art, auf die Menschen zuzugehen, wie sie es auf der Säuglingsstation gelernt hat. „Offene Ohren – nicht mein Senf ist wichtig, sonders das, was die anderen sagen.“

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