BIBEL AM SONNTAG (32./B)

Max Weiß: Alles auf die Hoffnung gesetzt

Anzeige

Jesus wendet sich eher den Menschen am Rand zu. Hat das irgendeine Bedeutung auch für uns? Fragt Max Weiß und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Aus Sicht Jesu ist nicht der materielle Reichtum entscheidend. Er wendet sich eher den Armen und an den Rand gedrängten Menschen zu. Sollten wir das auch mal wieder machen? Dieser Frage widmet sich Max Weiß und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“, so spricht Jesus in den Seligpreisungen, und so lautet der Ruf vor dem Evangelium dieses Sonntags. Dieser Satz ist die Logik Jesu, die himmlische Logik en miniature. Die Schriftgelehrten schreiten über die Marktplätze in feinsten Gewändern, suchen nach dem Ehrenplatz in der Synagoge und bei den Festmählern, „fressen die Häuser der Witwen“ und verrichten mit großer Geste ihre Gebete. Für sie hat Jesus nur Polemik übrig.

Das ergibt durchaus Sinn, wenn wir bedenken, dass uns am letzten Sonntag das Evangelium vom Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe vor Augen gestellt wurde. Denn solange die Schriftgelehrten nur danach trachten, ihren eigenen Stolz zu befriedigen und ihr Ego zu polieren, konterkarieren sie eben genau jenes Doppelgebot.

Jesus verändert die Blickrichtung

Die Lesungen vom 32. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.

Wer aber fällt Jesus im bunten Treiben des Tempels auf? Es ist die arme Witwe, die zwei kleine Münzen in den Opferkasten wirft, während die Reichen, wahrscheinlich mit großer Geste, „reichlich“ geben. Jesus aber verändert die Blickrichtung, weist seine Jünger auf die Witwe hin: „Amen, ich sage euch: Die arme Witwe hat mehr in den Opferkasten geworfen als alle anderen. Denn sie haben alle nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“

Seien wir ehrlich: Brauchen nicht auch wir diese Aufforderung Jesu zur Blickveränderung? Das soll nicht moralinsauer klingen, aber tendieren wir nicht auch dazu, die Nähe von Honoratioren und Mächtigen zu suchen, um uns selbst in deren vermeintlichem Glanz zu sonnen? Jesus aber sieht in der Menge die Witwe, die alles auf eine Karte, die alles auf Hoffnung, alles auf Gott setzt. Eine Parallelstelle zur Lesung aus dem Buch der Könige, wo die Witwe das gibt, was sie eigentlich nicht mehr hat, und dieses Setzen-auf-Gott sich für sie voll auszahlt. Das Evangelium wird hier in der reichen Schrifttradition vorweggenommen, aber wird für uns viel konkreter. Denn die Witwe im Evangelium steht exemplarisch für alle gesellschaftlich Marginalisierten, für alle, die nach Hoffnung suchen.

Nicht nur auf uns schauen

Was aber geschieht heute? Wir wollen abschieben oder unser Land so unattraktiv für Zuwanderer machen, dass sie sich gar nicht erst auf den Weg machen. Das in einer Zeit, wo zig Krisen unsere Welt erschüttern, wo Berichte von Tod, Hunger und Leid zum Alltag geworden sind. Da wollen wir wegschauen, wollen unsere Blickrichtung ändern, lieber auf „uns“ schauen als auf die anderen. 

Das Ganze (an)getrieben von einer rechten Partei, welche die Grenzen des Sag- und Machbaren immer weiter verschiebt und die anderen Parteien vor sich hertreibt. So vor sich hertreibt, dass der FDP-Fraktionschef Christian Dürr sich zu dem Satz verleiten lässt: „Künftig sollten die Leistungen für alle ausreisepflichtigen Asylbewerber aufs Bett-Seife-Brot-Minimum gekürzt werden. Damit stellen wir sicher, dass es keinen Anreiz mehr gibt zu bleiben.“ 

Natürlich gibt es Armut auch bei uns

Zynismus als Parteiprogramm, als Ausspielen der Hoffnungen der Menschen gegeneinander. Natürlich gibt es Armut auch in unserem Land, natürlich gibt es Unsicherheit und Gewalt. Aber kann die Antwort lauten, diejenigen, die Leid in unserem Land erfahren, gegen diejenigen auszuspielen, die Leid in einem anderen Land erfahren und bei uns auf Besserung hoffen? 

Ich glaube, die Definition von Populismus lautet, einfache Antworten auf komplizierte Fragen zu geben. Eine Antwort, die schwieriger ist und die nach Handlung und nicht nur nach Worten verlangt, lautet: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Lassen wir unsere Hoffnung nicht zu einer Hoffnung werden, die auf Kosten anderer hofft.

Ruhig als „Gutmenschen“ beschimpfen lassen

Ich bin der Überzeugung, dass Jesus existenziell in unsere heutige Situation hineinspricht. Denn wenn die Witwe der Prototyp derer ist, die „hoffen wider aller Hoffnung“, die nicht aufgeben und die glauben, dass es besser werden kann, dann haben wir die Reich-Gottes-Botschaft verstanden, dann wird eben jene himmlische Logik zur Erdenlogik.

Blicken wir also hin zum Anderen und lassen uns ruhig als „Gutmenschen“ beschimpfen, sprachlich ist es dann nicht mehr weit zu Jesus, der „Gott-Mensch“ war und ist, und mit dem wir gemeinsam hoffen dürfen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 32. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B finden Sie hier.

Anzeige