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Wird am Ende aller Tage alles gut für uns? Diese Frage stellt Max Weiß und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.
Während eines Aufenthaltes in Rom schreibe ich diese Zeilen. Gestern stand ich in der Sixtinischen Kapelle vor dem Jüngsten Gericht von Michelangelo, dem Meisterwerk der Renaissancekunst. Das Kommen und Gehen der Besucher und die Ordnungsrufe der Museumswächter erschienen mir apokalyptischer als das Fresko selbst.
Vielleicht liegt auch deswegen in diesem Kunstwerk eine tiefe Wahrheit. Plötzlich, im hektischen Treiben der Kapelle, bricht sich unser Blick und wir schauen auf das Jüngste Gericht.
Unterscheidung der Gerechten und der Sünder
Die Lesungen vom 33. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.
Jesus beschreibt den Jüngern im Evangelium das Vergehen der Welt und seine eigene Wiederkunft. Auch der Prophet Daniel schildert in martialischer Wortwahl das kommende Gericht: „Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zum ewigen Abscheu.“
Aus einer Zeit der Bedrängnis heraus sprechen sowohl Daniel als auch Jesus von einer Unterscheidung der Gerechten und der Sünder beim Jüngsten Gericht. Zum einen können uns als Menschen diese Bilder Hoffnung geben, denn den Gerechten, auch wenn sie auf Erden keine Gerechtigkeit erfahren, wird himmlischer Ausgleich gewährt, während jene, die auf Erden ein vermeintlich erfülltes Leben auf Kosten anderer führen, ihre Strafe erhalten werden.
Michelangelos theologische Grenzüberschreitung
Zum anderen wissen wir nicht, ob wir eben zu jenen gehören werden, „die für immer zur Vollendung geführt werden“, wie der Apostel Paulus im Hebräerbrief schreibt. Das kann Angst machen – wenn wir die Botschaft als Botschaft ernst nehmen, dann erzeugt dies erst einmal Angst.
Hier kann uns Michelangelos Fresko helfen, denn nie zuvor in der Kunstgeschichte wurde in solch einer bildgewaltigen Klarheit die mögliche Erfahrung dessen dargestellt, was Jüngstes Gericht meint. Mit jener Sehveränderung wollte Michelangelo schon vorwegnehmen, was wir als Menschen jetzt noch nicht zu sehen imstande sind. Was in diesem Fresko vor uns steht, ist nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine theologische Grenzüberschreitung. Da bietet Petrus dem Christus den Schlüssel an, in Umkehrung der Tradition, um zu verdeutlichen, dass es mit dem Weltgericht keinen Schlüsselwächter auf Erden mehr braucht.
Gottes Herrschaft beginnt
Da beginnt ganz die Herrschaft Gottes und dies wird dann nicht nur in der Kunst, sondern im heutigen Evangelium deutlich, wenn Jesus vom Feigenbaum spricht und beschreibt, wie wir metaphorisch das erneute Kommen des Sohnes erkennen werden: „Sobald die Zweige saftig werden und die Blätter treiben, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist. So erkennt ihr auch, wenn ihr das Geschehene seht, dass er nahe vor der Tür ist.“ Die Ordnung der Welt wird vergehen, aber nicht die Worte Jesu, so heißt es im Evangelium weiter, sie werden wie der Feigenbaum „Blätter treiben“.
Wenn wir die Botschaft Jesu ernst nehmen, nicht nur hier, sondern im Gesamt der Frohen Botschaft, dann dürfen wir auf eben das Befreiende dieser Botschaft schauen. Das unterscheidet uns als Christen hoffentlich von den Apokalyptikern dieser und früherer Tage. Denn Christi Botschaft gleicht nicht einer Abwärtsspirale, in der alles nur immer schlimmer wird, bis es dann zu Ende geht. Nein, wir leben auf Christus hin, wir arbeiten an dem Reich Gottes schon jetzt mit, erfüllt von der Hoffnung darauf, dass es besser wird, ja sogar noch unendlich weiter: Dass es gut wird.
Apokalypse verliert ihren Schrecken
So sagt mir die Perspektive des Menschen, der vom Boden der Sixtinischen Kapelle auf das Jüngste Gericht schaut: Wir sind gerufen, mitzubauen am himmlischen Jerusalem, gerade wenn wir auf unsere Zeit schauen, wenn wir auf die Kriege, auf die Geflüchteten, auf das Leid schauen. Wir sind aufgerufen, auf ihn zuzugehen, so wie er auf uns zukommt, nicht in dumpfer Angst, sondern indem wir die Welt verändern, so wie auch er die Welt verändert hat und verändern wird.
Dann verliert das Wort Apokalypse seinen Schrecken, in dem es zu dem wird, was es eigentlich bedeutet: Aufdecken. Nach dem Jüngsten Gericht sind wir nicht verdammt oder verloren, sondern wir werden klarer sehen. Auch das kann bedrohlich sein, aber nicht umsonst heißt Evangelium „Frohe Botschaft“, also gehen wir es frohen Mutes an.
Sämtliche Texte der Lesungen vom 33. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B finden Sie hier.