Ansgar Hagemann radelt seit 20 Jahren zu Kirchenevents – trotz eines schweren Unfalls

650 Kilometer auf dem Rad von Münster zum Katholikentag nach Stuttgart

VIDEO: Start der Radpilger in Münster zum Katholiktentag | Video: Marie-Theres Himstedt

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Wenn am 25. Mai der 102. Deutsche Katholikentag in Stuttgart beginnt, dürften die meisten Teilnehmenden mit Bus, Bahn und Pkw anreisen. Eine bunte Truppe um Ansgar Hagemann macht das seit mehr als 20 Jahren anders: Sie strampeln auf Fahrrädern nach Schwaben. Heute sind sie in Münster gestartet - wo der jüngste Katholikentag 2018 stattfand.

Gute Planung ist für Ansgar Hagemann alles: „Ich habe gleich ein paar Telefonate zu erledigen, noch sind nicht alle Quartiere bis Stuttgart sicher.“ Der sportliche 56-jährige winkt mit seinem Mobiltelefon. Seit mehr als 20 Jahren plant der gebürtige Bramscher Pilgerreisen mit dem Rad zu allen größeren Kirchenevents Deutschlands. Längst sind nicht mehr nur Fans seiner Heimatgemeinde St. Martinus dabei: Heute ging es los:: Eine Gruppe des ADFC Osnabrück und weitere Radfahrer aus ganz Deutschland starteten in zehn Etappen von Münster, dem Ort des letzten Katholikentags 2018, die 650 Kilometer zum 102. Katholikentag, diesmal im Süden.

Trotz seiner langjährigen Erfahrung als radelnder Pilgerführer geht Ansgar Hagemann vor jeder Tour auf Nummer sicher: „Meistens fahre ich die Strecken vorher nochmal ab.“ So 150 Kilometer reißt er dann täglich auf seinem roten Trekkingrad runter und beurteilt Belag, Straßenführung und die Umgebung für eine sichere Fahrt, immerhin wiegt das Gepäck so um die 25 Kilo: „Wenn ich unterwegs feststelle, der Weg gefällt mir nicht, dann drehe ich wieder um und versuche eine andere Strecke.“

Wichtig für Pilgerleiter: Humor und Gelassenheit

Mit seinem Profi-Treckingrad, das eine Kette aus Gummi besitzt, tritt Hagemann jetzt in die Pedale von Münster bis Stuttgart zum Katholikentag. | Foto: Marie-Theres Himstedt
Mit seinem Profi-Treckingrad, das eine Kette aus Gummi besitzt, tritt Hagemann jetzt in die Pedale von Münster bis Stuttgart zum Katholikentag. | Foto: Marie-Theres Himstedt

Es sollen sich alle Teilnehmenden wohlfühlen, es gehe nicht um die sportliche Leistung, sondern um entspanntes Fahren gemeinsam in der Gruppe: „Anders ist es natürlich, wenn wir jüngere Leute dabeihaben, die sind schonmal außer Rand und Band“, erinnert sich der 56-Jährige an eine frühere Tour. „Ich lasse die Eifrigen erstmal machen, und dann sage ich: 'Toll, dass ihr so schnell fahren könnt, aber da hinten hätten wir rechts abbiegen müssen!'"

Gelassenheit und Humor – zwei Eigenschaften, ohne die es nicht gehen würde, ist sich der gelernte Maschinenbauer sicher. Für Hagemann ist es auch kein Problem, dass viele seiner Mitstreiter mittlerweile ein E-Bike nutzen, während er auf sein klassisches Profi-Trekkingbike setzt: „Die anderen dürfen ohnehin nicht schneller fahren als ich, und wer es tut, zahlt die erste Runde“, sagt er mit einem breiten Grinsen.

„Sportlich war ich nicht“

Aufs Rad kam er eigentlich eher durch Zufall: „So richtig sportlich war ich nicht“, erinnert er sich. Mit zwei jüngeren Geschwistern in Bramsche aufgewachsen, ging es nach der Lehre nach Hannover. In seiner damaligen WG lebten zwei passionierte Fahrradbastler, die sich ihre Räder mit stabileren Rahmen für lange Wege zusammenstellten. So führte ihn die erste Tour mit seinen Kumpels entlang der innerdeutschen Grenze, direkt nach der Wiedervereinigung.

Ein weiterer Plan war damals auch, den Gotthard-Pass zu bewältigen – doch ein Mitfahrer verstarb vorher. In seinem Gedenken fuhr Hagemann die Strecke trotzdem ab. Das Strampeln hilft ihm auch heute noch beim Loslassen und Weitermachen: „Auf dem Rad, da kriegst du den Kopf frei. Da schalte ich ab.“

Kirche und Kultur gehören dazu

So akribisch plant der gebürtige Bramscher jede Tour. | Foto: Marie-Theres Himstedt
So akribisch plant der gebürtige Bramscher jede Tour. | Foto: Marie-Theres Himstedt

Sehenswürdigkeiten wie Kirchen oder Naturdenkmäler nutzt er gerne, um kleine Pausen unterwegs einzulegen – auch Gebet und Gesang gehören dazu. Seine Mühe und Leidenschaft, die Touren sehenswert und sportlich gleichermaßen zu gestalten, kommt bei den Teilnehmern gut an, davon zeugen umfangreiche Fotobücher, zum Beispiel über die Reise zum Katholikentag 2018 von Leipzig nach Münster oder 2019 zum Kirchentag nach Dortmund.

Einschneidend war die erste Kirchentagspilgerreise 2000 „Bramsche - Hamburg und zurück“: "Da wurden wir unterwegs bekocht und das Gepäck wurde transportiert, das war Luxus“, erinnert er sich schmunzelnd. 2007 hat er seine regelmäßigen Touren auf professionellere Pedale gestellt und den Verein „Pilgern per Rad“ begründet.

Quartier in Pfarrgemeinden

Mittlerweile ist er etwas entspannter geworden in seiner Planung, denn Gastfreundschaft ergibt sich immer auf den langen Strecken: „Auch wenn wir für größere Gruppen die Quartiere natürlich planen müssen.“ Die Fahrradfahrer kommen meist in Pfarrgemeinden unter, katholisch wie evangelisch, da geht Ansgar Hagemann ganz pragmatisch vor: „Ich recherchiere, welche Gemeinde beim jeweiligen Etappenziel die meisten Kapazitäten hat und rufe dann an“, sagt er.

Bei der jetzigen Tour kommen sie bei Verwandtschaft in Wiesbaden unter: „Solche persönlichen Begegnungen sind immer toll. Bisher sind wir dabei auch noch nicht verhungert“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Nagel in der Schulter, Metallplatte überm Schlüsselbein

Erinnerungen an vergangene Touren hat Ansgar Hagemann in Fotobüchern festgehalten. | Foto: Marie-Theres Himstedt
Erinnerungen an vergangene Touren hat Ansgar Hagemann in Fotobüchern festgehalten. | Foto: Marie-Theres Himstedt

Dass er so viel Zeit für sein Ehrenamt, unter anderem beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), investieren kann, hat einen ernsten Hintergrund: Vor fünf Jahren verunglückte Hagemann schwer. Seitdem ist er Frührentner. Ein Nagel in der Schulter und eine Metallplatte über dem rechten Schlüsselbein erinnern ihn an diese Ausnahmesituation, als ein Baustellen-Lkw ihm bei einem missglückten Überhohlmanöver den linken Unterarm abschälte. Heute ist die Hand stark verkrümmt, der Arm vernarbt.

Einen großen Schutzengel muss er wohl gehabt haben, dass er auf den Gehweg gestürzt ist und nicht vollends unter das Gefährt geraten ist: „Ich war mit einem Tempo von 32 Km/h unterwegs zur Arbeit und der Lkw wollte mich überholen, aber der Platz reichte nun mal nicht“, stellt er sachlich fest. Die Parteien einigten sich außergerichtlich.

„Mich gibt es nicht ohne Rad“

Verbitterung habe er nicht verspürt, sagt Hagemann rückblickend. Die vielen Erinnerungen an vergangene Pilgertouren hätten ihm während des langwierigen Heilungsprozesses Halt gegeben und verhindert, dass er in ein tiefes Loch fällt: „Schon in der Reha habe ich wieder angefangen zu planen“, sagt er mit einem Lächeln.

Dank einer speziell angefertigten Lenkung an seinem roten Profirad kann er auch weiterhin wieder lange Strecken fahren: „Mich gibt es nicht ohne Rad“, sagt er mit einem Schmunzeln. Außer vielleicht beim Start der Telgter Wallfahrt, da geht er nachts die erste Strecke durch Osnabrück zu Fuß, um dann per Auto zum Startpunkt zurückzufahren und von dort mit seinen Fahrradpilgern gen Westfalen aufzubrechen.

Als Jesus auf die Bühne

Weitere Informationen erteilt Ansgar Hagemann unter info(at)pilgernperrad.de

Langes Ausruhen ist Hagemanns Sache nicht, die Prämisse gilt auch für den Katholikentag in Stuttgart: Kaum kommt die Gruppe am Mittwoch an, reist der Pilgerleiter auch schon wieder zurück, allerdings mit dem Zug, denn sein Terminplan ist eng. Rechtzeitig zum Wochenende muss er wieder in Bramsche sein, dann starten die Proben für das coronabedingt verschobene Passionsspiel in seiner Heimat mit 70 Mitwirkenden im Bramscher Kloster Malgarten: „Der letzte Jesus hat geheiratet und ist weggezogen“, sagt er mit einem Lachen. Und so sei er gefragt worden, ob er nicht die Hauptrolle übernehmen wolle.

Erfahrung bringt er genug mit, denn Hagemann ist bereits seit den 90er Jahren Mitglied des Vereins „Passionsspielgemeinschaft im Osnabrücker Land“, die regelmäßig seit den 70er Jahren die Geschichte aufführt. Denn Jesus, den will er nicht verpassen.

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