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Papst Franziskus hat den "Welttag der Großeltern" ausgerufen, dessen Premiere am 25. Juli gefeiert wird. In unserer Serie widmen wir uns dem Leben von Großeltern und Senioren. Diesmal berichten wir aus dem Kreis Warendorf.
Der Wechsel der Rolle war abrupt. Elisabeth K. musste von einem Tag auf den anderen als Pflegemutter für ihr Enkelkind einspringen. Eine Situation mit vielen Schwierigkeiten, aber auch Vorteilen.
Und plötzlich war sie wieder Mutter, ohne große Vorwarnung. Dass ihre Tochter in der Erziehung ihres Neugeborenen Probleme hatte, war ihr bewusst. Das Ausmaß der Vernachlässigung hatte sie aber nicht geahnt. Dazu war die Beziehung zwischen Mutter und Tochter zu zerrüttet gewesen. Ihr Verhältnis hatte immer an der Haustür geendet. Dann kam der Tag, als sie das erste Mal ihre Wohnung betrat.
„Ich war schockiert, in welcher Umgebung mein Enkelkind aufwuchs“, erinnert sich Elisabeth K. (Namen von der Redaktion geändert). „Absolut verwahrlost, keine saubere Wäsche, überall Dreck und Abfall.“ Eigentlich wollte sie damals den kleinen Jan nur für ein Wochenende zu sich holen. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, war ihr aber sofort bewusst: „Er musste da raus, dauerhaft.“
Neuer Alltag wurde zur Mammut-Aufgabe
Das war vor etwa sechs Jahren. Jan war noch kein Jahr alt, Elisabeth K. gerade 40 geworden. Eine junge Oma, aber in einer ganz anderen Lebensphase als eine Frau, die eine Familie plant. „Meine Kinder waren groß, das Haus abbezahlt.“ Der Entschluss kam abrupt dazwischen. „Keine Vorbereitung wie in einer Schwangerschaft, kein eingerichtetes Kinderzimmer, keinen kleinen Strampler im Schrank.“ Ihr Leben musste schnell angepasst werden. Sie schloss ihr Nagelstudio, baute daheim um, ging in Kindergeschäfte, um die Grundausstattung für ein Kleinkind zu kaufen.
Ihr Partner half ihr. Trotzdem stand vor allem sie schlagartig in einem neuen Alltag, dem einer jungen Mutter. Besonders der unruhige Schlafrhythmus setzte ihr zu. „Nachts mehrmals raus aus dem Bett – das war nicht mehr so einfach“, erinnert sie sich. „Am Tag habe ich mich sofort aufs Sofa gelegt, sobald Jan schlief.“ Kinderarztbesuche, Kita-Organisation, Spielen, ständige Aufmerksamkeit – all das, was jeder jungen Familie viel abverlangt, wurde für Elisabeth K. zu einer Mammut-Aufgabe.
Mutter des Kindes taucht ab
Das war es auch, weil durch die neue Familien-Konstellation die Auseinandersetzung mit der Beziehung zu ihrer eigenen Tochter wieder intensiviert wurde. Mit ihrem Enkelkind war sie quasi jeden Moment mit den Problemen konfrontiert, die das Verhältnis so zerstört hatten. Jans Mutter war nach den Ereignissen erst einmal abgetaucht, in einen Sumpf aus falschen Freunden, Suchtkrankheit und Kriminalität. Wie schon so oft in der Vergangenheit
„Was habe ich in der Erziehung bloß falsch gemacht?“, war eine Frage, die sich Elisabeth K. jetzt intensiv stellte. Jetzt, wo sie wieder vor der Aufgabe stand, ein Kind aufs eigenständige Leben vorzubereiten. Es entstand der Druck, es besser machen zu wollen. „Ich habe sehr genau auf das geachtet, was ich tat und wie Jan darauf reagierte.“ Was noch mehr Energie kostete.
Weg von Schuldgefühlen, hin zum geregelten Leben
Die alte und neue Familiensituation zu differenzieren war wichtig. „Ich musste mich von Schuldgefühlen befreien“, sagt sie. Das gelang ihr vor allem mit Unterstützung der Familienhilfe und durch den Pflegekinderdienst des Sozialdienstes Katholischer Frauen (SkF) in Ahlen. Dort half man ihr auch, bürokratisch mit der Situation fertig zu werden, etwa die offizielle Anerkennung als Pflegemutter zu bekommen. Oder auch Fördergelder zu beantragen, die es neben dem Pflegegeld von etwa 600 Euro im Monat gab.
Vieles hat sich erst nach und nach geregelt. Elisabeth K. sagt, dass sie ohne große Gedanken an das in die neue Aufgabe hineingegangen sei, was alles auf sie wartete. „Wir haben den Jungen zu uns genommen und danach geschaut, wie es funktionieren könnte.“ Eine andere Wahl hatte sich ihr nie gestellt. „Es ging um den Jungen, um nichts anderes – da konnte ich gar nicht anders entscheiden.“
Es ist eine Entscheidung, die sie nie bereut hat. Bei aller Anstrengung: „Ich bin von einem Tag auf den anderen zu einer glücklichen Mutter geworden.“ Anerkennung für ihren Einsatz erlebt sie viel. Aber eigentlich braucht sie die nicht. „Ich bin durch Jan ausreichend beschenkt, er ist ein echt cooler Junge.“ Einer, der ihr auch ein Stück von dem Glück wiederbringt, das sie zu Kinderzeiten ihrer Tochter erleben durfte. Ein schönes, lang verschüttetes Gefühl.
Konsequenter Wechsel zur Mutter-Rolle
Kann sie denn auch noch einfach mal Oma sein? Jene Bezugsperson eines kleinen Kindes, die vor allem verwöhnt, sich keinen Stress mit Entwicklung und Erziehung machen muss? „Nein“, sagt Elisabeth K. deutlich. „Du kannst nur eine Rolle spielen, entweder die eine oder die andere.“ Sie ist konsequent, oft sogar streng. So, wie es eine Mutter häufig sein muss, wenn Alltagssituationen geklärt werden müssen. „Ich kann aber auch Freiraum geben, Selbstständigkeit zulassen.“
Diese Mischung hat sie bei ihrem Wechsel von der Großmutter- zur Mutter-Rolle neu gefunden. „Vielleicht vereine ich darin die guten Eigenschaften beider Beziehungen.“ Sie sagt, dass sie auf der einen Seite aufmerksamer gegenüber sich und Jan geworden ist. „Aber auch gelassener und routinierter.“ Dem kleinen Jan tut das gut. Da ist sie sich sicher. „Ich spüre, dass er die Situation verstanden hat.“ Sie hat ihm die Gründe für sein außergewöhnliches Leben nie vorenthalten. „Er soll wissen, dass er eine leibliche Mutter hat und ich eine besondere Mutter bin.“
Eine Oma, auch auch eine echt gute Mama
Jan kommt jetzt in die Schule. Vor kurzem hat er Elisabeth K. gefragt, warum er Mama zu ihr sagt, obwohl sie eigentlich seine Oma ist. Sie hat ihm all das noch einmal erklärt. Seine Reaktion hat ihr gezeigt, wie normal kindliche Augen die Situation sehen können, über die sich Erwachsene so sehr den Kopf zerbrechen: „Du bist halt beides – eine Oma, aber auch eine echt gute Mama.“