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Das Verwaltungsgericht Münster hat entscheiden, dass eine fünfköpfige kurdische Familie aus dem Irak nicht abgeschoben werden darf. Der gerichtlichen Entscheidung vorausgegangen war ein Kirchenasyl in Münster. Begleitet wurde die Familie von Benedikt Kern, Theologe und Mitarbeiter des Ökumenischen Netzwerks „Asyl in der Kirche“. Im Gespräch erklärt er, wie es zu der Entscheidung kam, wie es mit der Familie weitergeht und was das Netzwerk von der Asylpolitik erwartet.
Herr Kern, Sie haben eine irakische Familie in Münster in einem Kirchenasyl begleitet. Nun hat das Verwaltungsgericht die Familie darüber informiert, dass sie nicht mehr abgeschoben werden darf. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Die fünfköpfige kurdische Familie aus dem Irak, die seit Oktober letzten Jahres in einer Pfarrei in Münster im Kirchenasyl war, kann dieses nun mit einer guten Perspektive glücklicherweise verlassen. Eine Abschiebung nach Kroatien im Rahmen des Dublin-Verfahrens droht nun nicht mehr. Über Kroatien war die Familie in die EU eingereist und hatte dort äußerst inhumane Erfahrungen machen müssen. Den Abschiebungsbescheid hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nun aufgehoben, und das Verwaltungsgericht konnte die dagegen laufende Klage fallen lassen. Hintergrund ist, dass in Dublin-Verfahren den Behörden für die Überstellung in das Land der erstmaligen Einreise in die EU eine Frist von sechs Monaten gesetzt ist. Wird diese Frist – zum Beispiel im Kirchenasyl – überbrückt, muss das Asylverfahren im Anschluss in Deutschland durchgeführt werden.
Wie hat die Familie auf die Entscheidung reagiert?
Die Familie hat sehr begeistert auf die gute Nachricht reagiert. Vor dem Kirchenasyl standen die Eltern aufgrund der drohenden Abschiebung psychisch massiv unter Druck, der sich natürlich auch auf die Kinder im Alter von 20, 11 und drei Jahren ausgewirkt hat. Durch den Schutz des Kirchenasyls konnte sich die stark angespannte Lebenssituation beruhigen, und die Familie konnte in den letzten Monaten neue Kraft schöpfen. Jetzt stehen für sie die nächsten Schritte an: Sie kehren zurück in ihre Sammelunterkunft und durchlaufen das Asylverfahren. Ich denke, hier mischen sich Erleichterung und zugleich auch Spannung darüber, wie es nun weitergehen wird.
Welchen Anteil haben Sie vom Netzwerk Kirchenasyl am Abschiebestopp?
Wir haben als Netzwerk „Asyl in der Kirche“ Nordrhein-Westfalen die Familie und die Pfarrei dabei unterstützt, dieses Kirchenasyl durchzuführen. Über den positiven Ausgang und die nun anschließenden Perspektiven sind wir sehr froh. Gerade aufgrund der Tatsache, dass trotz der herrschenden Coronakrise Abschiebungen weiterhin regulär stattfinden, zeigt das Beispiel dieser kurdischen Familie, wie wichtig es ist, dass Kirchenasyle gewährt werden, um Menschenrechte gerade in dieser Zeit zu schützen. Dabei möchten wir gern Kirchengemeinden unterstützen und sie dazu ermutigen.
Wie hat die Pfarrei die Familie unterstützt?
Die Pfarrei konnte eine zufällig leerstehende Wohnung im Pfarrhaus zur Verfügung stellen, was natürlich großartige Bedingungen für das Kirchenasyl war. Haupt- und Ehrenamtliche der Gemeinde haben die Familie bei den Fragen des alltäglichen Lebens unterstützt. Sehr schön war auch, dass einige junge Studierende den Kontakt zur Familie gehalten und sie regelmäßig besucht haben. Denn gerade für Familien im Kirchenasyl ist es wichtig, dass es einen sozialen Anschluss gibt. So haben sich vor allem die Kinder meinem Eindruck nach gut einfinden können.
Braucht es erst ein Kirchenasyl, um Abschiebungen zu stoppen?
Benedikt Kern ist katholischer Theologe aus Münster. Er berät und unterstützt mit dem Ökumenischen Netzwerk „Asyl in der Kirche“ Nordrhein-Westfalen von Abschiebung Betroffene und Kirchengemeinden in Fragen des Kirchenasyls. | Foto: Michael Bönte
Leider sind Kirchenasyle wie in diesem Fall oftmals die letzte Möglichkeit, um Abschiebungen verhindern zu können. Gerade bei Dublin-Überstellungen entscheiden BAMF und Verwaltungsgerichte in den meisten Fällen gegen die Betroffenen, auch wenn offensichtlich ist, dass die Situation in den Zielländern der Abschiebung prekär ist und grundlegende menschenrechtliche Defizite herrschen. Das betrifft wie in diesem Fall der irakischen Familie nicht nur Kroatien, wo es zu gewalttätigen Übergriffen durch die Grenzpolizei und Rassisten aus der Bevölkerung kommt, keine Unterkunftsmöglichkeiten bestehen und die medizinische Versorgung eingeschränkt ist, sondern auch in Ländern wie Italien, Spanien, Polen, Griechenland, Rumänien und Bulgarien sind die Bedingungen für Geflüchtete inhuman: Sie bleiben wohnungslos, es gibt keinen Zugang zu Arbeit. Kinder bleiben oftmals unbeschult, und ärztliche Behandlungen sind nur auf Notversorgung reduziert. Das können und wollen wir als Christinnen und Christen nicht hinnehmen – und deshalb ist das Asyl in der Kirche so wichtig.
Welch ein Asylverfahren würden Sie sich wünschen?
Die Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre, die massive Aushöhlung von Grundrechten, die Ausweitung der Lagerunterbringung und Isolation, die Rationalisierung von Abschiebungen und die zunehmende Abschottungspolitik zeigen, wie schlecht es um die menschenrechtliche Situation in Europa insgesamt bestellt ist. Besonders das derzeitige Dublin-System ist die Ursache vieler Probleme, und es gehört abgeschafft. Außerdem müssen legale Einreisemöglichkeiten geschaffen werden, ohne dass weiterhin Menschen an den Grenzzäunen und im Mittelmeer getötet werden. Denn es geht offensichtlich in Europa nicht darum, Menschen vor inhumanen Situationen zu schützen oder gar ein Recht auf Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Als Christen müssen wir deshalb ausgehend von unserer biblischen Tradition uns stark machen, dass es um die Erringung eines guten Lebens aller in Würde, Gleichheit und Freiheit gehen muss. Und das heißt eben, diese Gesellschaft zu verändern, hier bei uns und global.
In welchen aktuellen Verfahren ist das Netzwerk Kirchenasyl aktiv?
Derzeit unterstützen wir als Netzwerk in Nordrhein-Westfalen rund 60 Kirchenasyle mit 110 Personen, die hier Schutz bekommen. Im Bistum Münster wissen wir im Moment von sechs Kirchenasylen. Bundesweit liegt die Zahl bei rund 500 Personen, davon sind etwa 100 Kinder.