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Verbände wechseln, Patienten baden, Medikamente sortieren: Viele Pflegebedürftige werden von ambulanten Pflegediensten betreut. Dabei stehen die Pflegenden täglich vor Herausforderungen. Worin die Schwierigkeiten bestehen, welche Probleme die Babyboomer bringen und warum nicht alles schlecht ist – Kirche+Leben hat mit zwei regionalen Pflegediensten gesprochen.
Herausforderung 1: Fachkräfte
Rund 130.000 Menschen wurden laut statistischem Landesamt im Jahr 2013 in NRW von ambulanten Pflegediensten betreut. Vier Jahre später waren es etwa 180.000. Im Jahr 2021 dann schon 235.000. Zwar stieg in dieser Zeit auch die Zahl der Pflegekräfte. Auffangen könnten sie die steigende Zahl an Pflegebedürftigen allerdings nicht, sagt Klaus Jäger. Er ist Abteilungsleiter Gesundheit und Alter des Caritasverbands Rheine.
„Aktuell halten wir uns auf der Grenze des Machbaren. Noch können wir eine Versorgung so gerade sicherstellen“. Aber spätestens in zehn bis 20 Jahren kämen die ersten Babyboomer ins Pflegesystem. „Dann kommen wir mit unseren Pflegekräften überhaupt nicht mehr aus.“ Schon in den vergangenen Jahren hätten sie Anfragen ablehnen müssen, sagen Klaus Jäger und Tim Scheipers, Geschäftsführer des Pflegedienstes Mobilé in Steinfurt, übereinstimmend.
Vorübergehende Entspannung
„Wenn jemand anruft und sagt: ‚Sie sind der fünfte Dienst, den ich anrufe. Wenn Sie mir absagen, kann ich nicht mehr.‘ Dann fällt es verdammt schwer abzulehnen“, erzählt Klaus Jäger. Man wolle ja helfen, aber nicht dauerhaft auf dem Rücken der eigenen Mitarbeitenden. Ein Lernprozess sei das gewesen, sagt Jäger. Aktuell habe sich die Situation etwas entspannt, sagt Tim Scheipers. Er sieht das als Konsequenz der tariflichen Bezahlung. Sie gilt seit 2022 für alle Pflegekräfte, stationär oder ambulant. Das Narrativ der schlecht bezahlten Pflege gelte so nicht mehr. „Das macht das Berufsbild Pflegefachkraft attraktiver“.
Klaus Jäger glaubt nur an eine vorübergehende Entspannung. „Viele Pflegebedürftige nehmen momentan lieber das Pflegegeld, um in unsicheren Zeiten ihre Haushaltskasse aufzubessern.“ Die aktuelle Nachfrage sei deshalb zu stemmen. „Das wird sich aber bald wieder ändern“. Allein für den Regierungsbezirk Münster sagt das statistische Landesamt einen Anstieg in der ambulanten Pflege von aktuell 32.600 Pflegebedürftigen (Stand Oktober 2024) auf knapp 47.000 im Jahr 2040 voraus.
Herausforderung 2: Finanzierung
Themenwoche „Soziale Dienst am Kipppunkt?“
Fachkräftemangel in der Pflege und in den Kitas, Haushaltskürzungen unter anderem bei der Migrationsberatung – die sozialen Dienste stehen vor enormen Herausforderungen. Kirche+Leben fragt nach, wie prekär die Lage wirklich ist. Teil 4: Ambulante Pflegedienste haben es mit mehreren Herausforderungen zu tun.
Haben Pflegebedürftige einen Pflegedienst gefunden, steckt die nächste Herausforderung in der Finanzierung. „Die Pflegeversicherung ist wie eine Teilkasko-Versicherung beim Auto: Sie deckt nur einen Teil der Kosten ab“, erklärt Klaus Jäger. Bei Leistungen, die aus pflegefachlicher Sicht notwendig sind, kämen zum Beispiel zu den 1.432 Euro von der Versicherung im Pflegegrad 3 nicht selten nochmal 1.000 Euro an Eigenleistung dazu.
Gleichzeitig erlaube das System kaum Spielraum. Abgerechnet werden sogenannte Leistungskomplexe, wie etwa die „Große Grundpflege“. „Wird eine Leistung gebucht, muss sie mit allen Bestandteilen erbracht werden“, sagt Tim Scheipers. Ist ein Pflegebedürftiger schlecht zufrieden, wäre es manchmal sinnvoller, das Duschen oder die Rasur zu verschieben. „Da hilft es mehr zehn Minuten die Hand zu halten“, sagt Klaus Jäger. Diese Flexibilität gebe das System aber nicht her. „Was nicht dokumentiert ist, findet nicht statt. Und was nicht stattfindet, kann nicht abgerechnet werden“, ergänzt Tim Scheipers. Das erhöhe zusätzlich den wirtschaftlichen Druck, der bereits auf den Pflegediensten lastet.
Herausforderung 3: Bürokratie