Das Papstschreiben in der Diskussion

„Amoris laetitia“: Wie der Papst den Ehe-Alltag bestätigt

Gertrud und Dieter-Felix Grzabka sind seit 40 Jahren verheiratet. Sie haben „Amoris Laetitia“ gelesen und fühlen sich durch viele Aussagen bestätigt. Sie sagen: Das Schreiben könnte besonders für junge Paare und Eltern eine wichtige Hilfe sein.

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„Für mich war das ein großer Augenblick“, sagt Gertrud Grzabka, „zu lesen, wie in ›Amoris Laetitia‹ Menschen in ihrer Gewissensfreiheit wahrgenommen werden, in ihren unterschiedlichen Situationen.“ Dazu das Grundleitwort, das für sie aus dem Text spreche: „Wir wollen keine indoktrinäre Kirche sein! Weil die Wirklichkeit vielfältiger aussieht, als man mit einer Doktrin fassen kann.“

Nach 40 Jahren Ehe weiß die 69-Jährige: „Es gibt das Auf und Ab im Leben, es gibt Um- und Nebenwege. Dies auch in Ruhe und Barmherzigkeit anzunehmen, das ist wesentlich. Und das begegnet einem in dem Text an vielen Stellen.“

 

Barmherzigkeit und Vertrauen

 

Barmherzigkeit und Vertrauen, so ähnlich, wie sie es in ihrer Kindheit in Bremerhaven, in der Diaspora, erlebt habe. Mit Priestern, die meist hilfreich wirkten und selten autoritär Wahrheiten verkündeten. Eine ganz andere Erfahrung als die ihres Mannes.

„Ich bin in Dorsten aufgewachsen, damals ein schwarzes Nest“, sagt Dieter-Felix Grzabka (75). „Da war die Lehrmeinung der Kirche dominant. Und entsprechend haben sich auch manche der Geistlichen dort verhalten.“

 

Manches klingt nach „überhöhtem Anspruch der Theologie“

 

Zwei ganz unterschiedliche Erfahrungen. Wie wirkt da das Schreiben des Papstes über die Freude der Liebe auf sie?

Es sei ein gut und wichtig, da sind sich die beiden Eheleute, die heute im oldenburgischen Visbek leben, einig. Auch wenn ihnen manches darin sprachlich nach einem überhöhten Anspruch der Theologie klinge: etwa, wenn die Liebe in der Ehe verglichen werde mit der Liebe von Jesus Christus zur Kirche.

 

„Würdigung der Ehe“

 

„Diese Art Sprache erstickt mich“, sagt Dieter-Felix Grzabka, der sich fragt: „Wie soll man das erfüllen?“ Und warnt: „Es kann auch eine Überforderung sein, zu viel.“

Aber da sei eben auch das, auf das seine Frau hinweist: „die Würdigung der Ehe zum Beispiel und der versöhnliche Hinweis, dass der hohe Anspruch erst einmal ein Ziel ist und wir angenommen sind als Menschen, die sich mühen und auf dem Weg sind“, sagt sie milde lächelnd.

 

Das Lebenspraktische des Schreibens gefällt

 

Beide waren früher Lehrer. Dieter-Felix Grzabka für Chemie und Mathematik, seine Frau für Deutsch, Mathematik und Werken. Und beide hat bei aller Kritik das Lebenspraktische des Papstwortes angesprochen, besonders die Kapitel, in denen es um Erziehung von Kindern gehe. Nicht nur um die religiöse Erziehung, sondern die Bildung von Moral, die Erziehung zur Selbständigkeit.

„Da drückt sich der Papst sowas von feinfühlig und sensibel aus“, lobt Dieter-Felix Grzabka. „Mit einem ganzen Katalog von Mitteln für eine Erziehung ohne Strafe oder Repression.“ Etwas Vergleichbares finde man heute in Lehrbüchern im Studium nicht mehr. „Deshalb könnte das Schreiben eine große Hilfe für Lehrer und Eltern sein.“

 

Gemeinden könnten „angehenden Ehepaaren das Schreiben schenken“

 

Er schlägt vor: „Ich wäre dafür, dass Gemeinden das Lehrschreiben jungen Eheleuten zur Hochzeit schenken“, sagt Dieter-Felix Grzabka. „Aber nicht, damit es nur ins Regal gestellt wird, sondern um während der Ehevorbereitung über bestimmte Kapitel ins Gespräch zu kommen.“

Vieles im Papstwort seien ja Selbstverständlichkeiten, sagen beide und schildern ihren gemeinsamen Eindruck: So oder so ähnlich hätten sie Ehe und Familie in den vier Jahrzehnten seit ihrer Hochzeit auch gelebt. Damit führt sie Wort zu einer rückblickenden Erkenntnis: „Wir haben vieles richtig gemacht. Auch ohne das Franziskus-Schreiben“, betont Dieter-Felix Grzabka.

 

Dem anderen angehören

 

„Zum Beispiel mit der Einstellung: Der oder die andere gehört einem nicht, ist nicht mein Besitz.“ Etwas, das die Grzabkas an „Amoris Laetitia“ ein bisschen stört: „Die Formulierung: Der Mann gehört der Frau, die Frau gehört dem Mann.“

„Nein“, sagt Dieter-Felix Grzabka, „es müsste heißen: Sie oder er gehört dem anderen an! Das ist etwas anderes, als sich gegenseitig zu gehören!“, betont er.

 

„Kirche hat im Schlafzimmer nichts verloren“

 

Familie verantwortlich leben, auch was die Anzahl der Kinder angeht. Ein Thema, über das auch die Grzabkas sich im Laufe ihrer Ehe Gedanken gemacht haben. „Auch dazu haben wir im Text eine Ermutigung gefunden: Sich in aller Gewissensfreiheit so zu entscheiden, dass man Familie verantwortlich leben kann.“

Die Einmischung von Kirche in die eheliche Sexualität habe er schließlich noch erlebt, sagt Dieter-Felix Grzabka. „Aber es hat auch andere Stimmen gegeben. Zum Beispiel die des Kölner Kardinals Frings, der gesagt hat: Die Kirche hat im Schlafzimmer nichts verloren. Das ist der Maßstab, nach dem wir auch gelebt haben.“ Auch darin fühle er sich durch die große Betonung von Freiheit in „Amoris Laetitia“ bestätigt.

Zentrale Aussagen von „Amoris Laetitia“
„Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. ... Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werde, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen. ...

... haben wir häufig die Ehe so präsentiert, dass ihr Vereinigungszweck – nämlich die Berufung, in der Liebe zu wachsen, und das Ideal der gegenseitigen Hilfe – überlagert wurde durch eine fast ausschließliche Betonung der Aufgabe der Fortpflanzung. ...

Andere Male haben wir ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt, das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation und den tatsächlichen Möglichkeiten der realen Familien entfernt ist. Diese übertriebene Idealisierung ... hat die Ehe nicht ... attraktiver gemacht.

Wir tun uns ... schwer, dem Gewissen der Gläubigen Raum zu geben. ... Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.

Wir müssen die große Vielfalt familiärer Situationen anerkennen, die einen gewissen Halt bieten können, doch die eheähnlichen Gemeinschaften oder die Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts, zum Beispiel, können nicht einfach mit der Ehe gleichgestellt werden.

Darum möchten wir vor allem bekräftigen, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen.“

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