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An Hochschulen im Land nehmen antisemitische Vorfälle deutlich zu. Wer steckt hinter Aktionen auch in Münster? Kirche+Leben fragt die Antisemitismus-Experten an der Uni, einer davon katholischer Theologe.
Das Tragen einer Kippa oder das Zeigen eines Davidsterns ist in Deutschland längst zu einer Mutprobe geworden. „Wir stellen eine Verdrängung des Judentums in der Öffentlichkeit fest. Das betrifft auch und besonders die Universitäten und Hochschulen“, sagt Andreas Stahl.
Seit einigen Wochen leitet der 32-Jährige die vom Land Nordrhein-Westfalen neu eingerichtete zentrale Stelle für Beratung und Monitoring von antisemitischen Vorfällen an Hochschulen. Sie hat ihren Sitz an der Universität Münster. Andreas Stahl ist zuständig für alle Universitäten, Fachhochschulen sowie Musik- und Kunsthochschulen in Nordrhein-Westfalen. „Wir erfassen die antisemitischen Vorfälle, um das Dunkelfeld besser auszuleuchten und ein hochschulübergreifendes Monitoring aufzubauen“, sagt er.
Was Linksextremisten und Islamisten eint
Notwendig sei die Beratungsstelle allemal: „Es gibt jüdische Studierende, die sich in der vorlesungsfreien Zeit nicht auf den Campus trauen“, sagt er. Gerade nach dem Überfall der radikal-islamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem daraus entwickelnden Krieg im Gaza-Streifen seien die antisemitischen Vorfälle und Beleidigungen rasant gestiegen.
„Wir stellen das bei den angeblich pro-palästinensischen Demonstrationen fest, bei denen sogenannte anti-imperialistische oder postkoloniale Gruppen aus der linksextremen Szene und radikal Islamisten gemeinsam antisemitische Parolen äußern, die weit über die Meinungsfreiheit hinausgehen“, so Stahl. Ein Teil dieser radikalen Demonstranten seien Studierende.
Stimmungsmache über die sozialen Medien
Diese Beobachtung bestätigt Ludger Hiepel, Beauftragter gegen Antisemitismus der Universität Münster: „Der Campus ist ein Tatort für antijüdische Schmierereien, Plakate, Flyer und Ähnliches. Veranstaltungen werden genutzt, um gegen Israel und Juden Stimmung zu machen. Vieles geschieht über Social Media. Dort sind Gruppen aktiv, die politisch eindeutig zuzuordnen sind und hetzerisch agieren.“ Über Vorfälle werde die Staatsanwaltschaft informiert, mit der ein Austausch besteht.
Bereits im Juni 2023 hatte das Rektorat der Universität Münster das Amt eines Beauftragten gegen Antisemitismus eingerichtet und Hiepel für dieses neu geschaffene Amt erstmalig ernannt. Der katholische Theologe und Altorientalist ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Zeit- und Religionsgeschichte des Alten Testaments. Als Beauftragter koordiniert er seitdem präventive Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus. Er steht in engem Kontakt zur Jüdischen Gemeinde, der Stadt Münster und anderen Institutionen, die im Bereich von Antisemitismusprävention und Bildung aktiv sind, und arbeitet mit Andreas Stahl eng zusammen.
Der AStA Münster nimmt Stellung
Auch wenn körperliche Übergriffe in Münster bislang nicht gemeldet worden seien, gebe es bekannte Vorfälle: So etwa bei der „Langen Nacht der Bildung“, als Redner sich antisemitisch äußerten und der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA) sich später dafür entschuldigen musste. Es gibt Schmierereien an Gebäuden und Äußerungen unter anderem in sozialen Medien.
Jüdische Studierende, die es wie in jeder anderen Universität auch in Münster gibt, würden sich daher nicht trauen, sich als jüdisch zu „outen“. Über Ängste sprechen zu können und Handlungsempfehlungen zu erörtern, das sei Ziel der zentralen wie dezentralen Anlaufstellen, wie Stahl betont: „Das schließt eine juristische Verweisberatung mit ein, wenn eine strafrechtliche Relevanz vorliegt.“
Jüdische AStA-Vorsitzende in Kleve tritt zurück
Die Kriege im Nahen Osten – im Gaza-Streifen und im Libanon – haben neue Fronten geschaffen. Bundesweite Schlagzeilen machte vor einigen Monaten der Rücktritt der AStA-Vorsitzenden an der Rhein-Waal-Hochschule im niederrheinischen Kleve, Sharon Spievak. Die jüdische Studentin wurde massiv antisemitisch beleidigt.
Eine Gruppe Studierender habe gegen sie gehetzt. Bei der Wahl des Studierenden-Parlaments sei um Stimmen geworben mit Sätzen wie: „Wenn ihr uns wählt, schmeißen wir die Juden aus dem AStA.“ Das Studierenden-Parlament ist dort mehrheitlich muslimisch besetzt. Gegenüber der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtete Sharon Spievak von ihrer Gefühlslage: „Dass ich mich nicht mehr sicher fühlte auf meinem eigenen Campus, war absurd.“ Der „Jüdischen Allgemeinen“ sagte sie: „Plötzlich war ich nur noch die Jüdin, die man loswerden will.“
Falsches Verständnis von Antirassismus
Dieser Fall zeige, wie ein internationaler Konflikt unmittelbar Auswirkungen auf das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland hat, meint Hiepel: „Das Absonderliche ist, dass der Antisemitismus vermehrt aus der Intellektuellen-Szene kommt.“ Es gebe den Judenhass aus der rechtsextremen Szene, aber spätestens seit dem Palästina-Konflikt verstärkt von Linksextremisten.
Erklären kann sich das Andreas Stahl, der seit einigen Jahren über die Ursachen von Antisemitismus forscht, aus einem falschen Verständnis von Antirassismus: „Vereinfacht gesagt: Da sind die weißen Israelis, die die Araber unterdrücken. Oder anders gesagt: Da sind die Juden, die die Muslime beherrschen wollen. So entstehen neue Allianzen.“ In der Vergangenheit habe es immer auch eine Sympathie von Linken für die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ (PLO) gegeben.
Exmatrikulation von Extremisten?
Gemeinsam wollen Stahl und Hiepel aufklären, was Sache ist und warum Antisemitismus auf dem Campus keinen Platz hat. „Notfalls muss auch das Hochschulgesetz Anwendung finden“, sagt Hiepel.
Ordnungsmaßnahmen bis hin zur Exmatrikulation könnten nach dem Gesetz ergriffen werden, wenn ein „Mitglied der Hochschule aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität in seiner Würde verletzt wird“ und „damit zugleich ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.
Aufklärung unter Studierenden
Hiepel und Stahl setzen in ihrer Arbeit auf Aufklärung und ein Problembewusstsein bei den Studierenden. Antisemitismus dürfe nicht salonfähig werden – egal, aus welchen Ecken dieser komme: „Dass jüdische Studierende – und nicht nur sie – Angst haben und ihre Religion in der Öffentlichkeit nicht mehr zeigen können, ist ein Skandal und nicht hinzunehmen.“
Fachtagung in Münster über Antisemitismus und Islamismus
Am 21. und 22. November findet in den Räumen der Bezirksregierung Münster eine Fachtagung der Forschungsstelle „Islam und Politik“ unter der Leitung von Mouhanad Khorchide statt in Kooperation mit dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ und dem Beauftragten der Universität Münster gegen Antisemitismus sowie dem Bundesministerium des Innern und für Heimat. Der Fokus der Tagung liegt auf dem Zusammenhang zwischen dem politischen Islamismus und dem Antisemitismus. Über die Tagung heißt es: „Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 erlebt Deutschland einen erheblichen Zuwachs an Antisemitismus, nicht nur aus dem extremistischen Spektrum, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft. Neben rechtem und linkem Antisemitismus bricht sich auch eine signifikante Juden- und Israelfeindlichkeit unter Musliminnen und Muslimen bahn.“ Informationen zur Fachtagung unter www.uni-muenster.de.