Montag um 20.15 Uhr im Ersten – Zuschauer-Voting geplant – Bischof Bätzing bei „Hart aber fair“

Assistierter Suizid: Schirach-Film „Gott“ löst schon im Vorfeld Debatte aus

  • Am Montag läuft um 20.15 Uhr der Film zum Theaterstück „Gott“ im Ersten.
  • In Schirachs Stück kämpft ein gesunder 78-jähriger Mann vor dem Ethikrat dafür, sich das Leben nehmen zu dürfen.
  • Kritiker bemängeln, der Autor setze beim Thema des assistierten Suizids zu sehr auf Polarisierung anstatt Grautöne in der Debatte sichtbar zu machen.

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Von Schirach auf allen Kanälen. Im September hat der Bestsellerautor Ferdinand von Schirach (56) sein Theaterstück „Gott“ in Berlin und Düsseldorf erstmals auf die Bühne gebracht. Wenig später ist das Stück, das sich mit dem Thema Sterbehilfe, Recht auf Suizid und Selbstbestimmung am Lebensende auseinandersetzt, auch als Buch erschienen. Am Montag läuft der Film zum Theaterstück im Ersten. Anschließend können die Zuschauer selber abstimmen.

Die TV-Besetzung ist hochkarätig – mit Barbara Auer, Lars Eidinger, Matthias Habich, Ulrich Matthes, Anna Maria Mühe, Christiane Paul, Götz Schubert und Ina Weisse.

 

Worum geht es in „Gott“?

 

Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod? In Schirachs Stück will sich ein 78-jähriger Mann das Leben nehmen. Richard Gärtner ist geistig und körperlich gesund. Genug Zeit also für Reisen, Bücher und Enkelkinder. Aber weil seine Ehefrau gestorben ist, ist er lebensmüde. Als seine Ärztin und auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Verschreibung eines tödlichen Mittels ablehnen, bringt er die Sache vor einen Ethikrat.

Auf dieser Bühne beziehen Mediziner, Juristen, auch ein Bischof, Stellung. Das Theater als moralische Anstalt: Schirach bringt Pro und Contra in geschliffenen Plädoyers auf den Tisch, ohne dass er für eine bestimmte Position wirbt. „Man schwankt das ganze Stück über hin und her“, beschrieb er im „Spiegel“-Gespräch die Intention seines Werks.

 

Früherer Ethikrats-Vorsitzender kritisiert Schirach-Stück

 

Das sieht der frühere Ethikrats-Vorsitzende Peter Dabrock anders. Schirach habe sich einseitig positioniert und in weiten Teilen eine „Werbeschrift für ärztliche Suizidassistenz“ verfasst, kritisierte der evangelische Theologe. Der Autor habe zudem die Chance verpasst, Grautöne in der Debatte sichtbar zu machen und stattdessen auf Polarisierung gesetzt.

Schirach komponiere alles so, dass seine Neigung für den lebensmüden Protagonisten und dessen leidenschaftlichen Anwalt erkennbar werde, kritisierte Dabrock. Dagegen seien die Gegner der assistierten Suizidbeihilfe wie der Ärztevertreter und der katholische Bischof „inhaltlich schwach und in ihrem Charakter unangenehm gezeichnet.“

 

Dabrock: Arbeit des Ethikrats wird nicht richtig dargestellt

 

Im Blick auf die Kirche scheine Schirach das „Vorurteil zu pflegen, dass theologisch und kirchlich offensichtlich nur an Menschenrechten und Verfassungsrecht vorbei argumentiert werden kann“, sagte Dabrock. Die Gebotsethik des katholischen Bischofs, der einen vermeintlich absolut geltenden Lebensschutz vertrete, solle unbarmherzig erscheinen. Der Geistliche spreche nicht die Sprache moderner Menschen und zeige sich „unaufgeklärt“.

Das Stück Schirachs verfehle auch die spezifische Beratungsarbeit des Ethikrats, sagte Dabrock, der von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrats war. Dort komme es – anderes als bei einer Gerichtsverhandlung – darauf an, Empfehlungen für Entscheidungen aufzuzeigen und nicht am Ende ein Urteil zu fällen.

 

Schirach wiederholt erfolgreiches Muster von „Terror“

 

Das Thema Suizid ist virulent: Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht ein weit reichendes Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben formuliert. Es schließe die Freiheit ein, auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, so die Karlsruher Richter.

Schirach wiederholt in „Gott“ ein sehr erfolgreiches Muster. Der Zuschauer soll in einer ethisch heiklen Frage entscheiden, wo er steht. Vor fünf Jahren kam sein Werk „Terror“ auf die Bühne, das ebenfalls als Fernsehfilm umgesetzt wurde. Es ging um die Frage, ob ein entführtes, voll besetztes Passagierflugzeug, das auf ein ebenfalls voll besetztes Fußballstadion zurast, abgeschossen werden darf. Soll der Bundeswehrsoldat, der das gekaperte Flugzeug mit einer Rakete abschießt, um Schlimmeres zu verhindern, schuldig gesprochen werden? Über eine halbe Million Menschen beteiligten sich an der Abstimmung dazu, mehr als 60 Prozent stimmten für Freispruch.

 

Palliativmediziner schreiben Brief an Schirach

 

Soll ein Arzt beim Suizid helfen? Verweigert man psychisch Kranken möglicherweise notwendige Hilfe? Wird Druck auf alte und kranke Menschen ausgeübt, den Angehörigen nicht länger zur Last zu fallen? Solche Fragen stellt von Schirach. Auch eine junge Frau wird zum Thema, die sich aus Liebeskummer das Leben nehmen will. Ist die Selbstbestimmung zu jedem Zeitpunkt absolut?

Am Wochenende haben sich 17 namhafte Suizidforscher und Palliativmediziner in einem Offenen Brief an den Autor Ferdinand von Schirach gewendet. Sie warnen vor einer fehlgeleiteten Debatte über Selbsttötungen in Deutschland.

 

Suizidforscher: Jeder hat das Recht, sich zu töten

 

Schirachs Werk drehe sich zentral um die Frage, ob es ein Recht auf Suizid gebe, schreiben die Unterzeichner. Das sei aber gar nicht mehr groß umstritten. „Jeder hat das Recht, sich das Leben zu nehmen.“ Dieses Recht sei sogar die Grundlage für Suizidprävention: „Denn wie soll man mit suizidgefährdeten Menschen in ein Gespräch kommen, wenn man ihnen dieses Recht abspricht?“

Entscheidend ist nach Darstellung der Unterzeichner aber die Frage, ob es einen Rechtsanspruch auf einen assistierten Suizid gibt und ob dieser Anspruch den Menschen in Notlagen gerecht wird. In dieser Debatte werde oft übergangen, dass die meisten Menschen mit Suizidwunsch vor allem den Wunsch hätten, dass sich andere Menschen ihrer Not annähmen, mit ihnen einen gemeinsamen Ausweg aus der krisenhaften Situation suchten und mit ihnen zu einer selbstbestimmten Entscheidung gelangten.

 

Diese Frage kommt in Schirachs Werk zu kurz

 

„Am Ende kann dies – wenn auch eher selten – in einen Suizid münden. Meist finden sich andere Lösungen. Allerdings endet diese Arbeit nicht darin, dem Protagonisten ein Suizidmittel zur Verfügung zu stellen“, heißt es. Schirachs „Gott“ negiere und entwerte die Arbeit von tausenden in Deutschland tätigen Medizinern, Psychiatern, Palliativmedizinern, Pflegekräften, Seelsorger, Mitarbeiter von Hospizen, Krisendiensten und Beratungsstellen, der Polizei, Feuerwehr oder Ehrenamtlichen, die mit suizidalen Menschen zu tun haben. Diese Menschen kommen nicht zu Wort.“

Viel zu kurz kommt nach Ansicht der Unterzeichner in Schirachs Werk auch die Frage, welche Folgen ein Suizid für Familie, Freunde und das Umfeld hat. „Was tun wir mit dem assistierten Suizid auch uns, unseren Beziehungen, unseren Leidenden und Kranken, unseren Alten und nicht zuletzt der Zukunft unserer Gesellschaft an?“

 

Bischof Bätzing diskutiert im Anschluss bei „Hart aber fair“

 

Wie in „Terror“ sind auch diesmal die Zuschauer eingeladen, nach der ARD-Sendung multimedial abzustimmen und mit zu diskutieren. Am Ende richtet sich die Ethikrats-Vorsitzende des Films (Barbara Auer) an das Publikum: Soll Richard Gärtner das tödliche Präparat bekommen, um sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen?

Anschließend wird Frank Plasberg die Zuschauerentscheidung in seiner Sendung „Hart aber fair“ mit Experten erörtern. Gesprächspartner sind dann laut ARD der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, der Sprecher des Sterbehilfevereins Dignitas-Deutschland, Florian Willet, sowie die Ärztin und Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna.

Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Menschen mit Suizidgedanken können sich an die Telefonseelsorge wenden. Sie ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 täglich rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und anonym. Der Anruf findet sich weder auf der Telefonrechnung noch in der Übersicht der Telefonverbindungen wieder. Es gibt auch eine E-Mail-Beratung. Der Mailverkehr läuft über die Internetseite der Telefonseelsorge und ist daher nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden. Hier geht es zur Telefonseelsorge.

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