Frank Empting berichtet über seine Einsätze im Kreis Warendorf

Aus dem Schock zurück ins Leben – so hilft die Notfallseelsorge

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Er ist Computerfachmach und Freizeitsportler. In der Kirche ist er nicht aktiv. Trotzdem ist er ein Seelsorger, wenn er Angehörige nach einem plötzlichen Todesfall begleitet: Frank Empting ist Notfallseelsorger im Kreis Warendorf.

Dass die Anfragen an die Notfallseelsorge mehr werden, spürt auch Frank Empting. Der 57-Jährige ist seit fast zwei Jahren im Kreis Warendorf ehrenamtlich im Einsatz: „2022 bin ich neun Mal angerufen worden, 2023 waren es bislang schon acht Mal.“ Es waren häufig Todesnachrichten, die an Angehörige überbracht werden mussten. „Eine Extremsituation, in der Menschen geschockt reagieren.“

Die stellt sich völlig anders da, als sie oft im Fernsehen gezeigt wird, erklärt Empting. „Da stehen nicht einfach zwei Polizisten unvorbereitet vor der Tür und sagen ihren Satz auf.“

Vorher setzen sich die Beamten zusammen mit den Notfallseelsorger intensiv mit der Situation auseinander. „Alle Informationen, die von der Feuerwehr oder anderen Akteuren in der Rettungskette vorliegen, spielen eine Rolle.“ Wer genau ist betroffen? Wie viele Personen sind involviert? Gibt es Kinder im Haushalt? „Eine Menge von Anhaltspunkten können helfen, die Situation vorzubereiten.“

Die Polizei geht, der Notfallseelsorger beginnt

Wenn die Polizei und der Seelsorger vorfahren, achten sie sehr genau darauf, welche Details nur unnötig belasten könnten. „Wir parken zum Beispiel die Autos nicht in Sichtweite, um nicht zusätzlichen Stress auszulösen.“ Der eigentliche Satz, der die traurige Nachricht überbringt, ist eine offizielle Aufgabe und muss von den Polizisten übernommen werden. „Danach ist ihr Einsatz zu Ende und mein Part beginnt.“

Wichtig ist es für Empting dann, sich schnell einen Überblick zu verschaffen. Kleine Hinweise helfen, die Situation genauer einzuordnen. „Fotos an der Wand, religiöse Gegenstände, ein Pflegebett – alles erzählt mir etwas über die Lebenssituation der Betroffenen, aus der sie gerade abrupt herausgerissen wurden.“ Damit kann er ahnen, welche Bedürfnisse das Gegenüber gerade hat.

Angehörige fühlen sich fremd

Seine Aufgabe für die kommenden, manchmal mehreren Stunden formuliert er so: „Ich möchte den Menschen wieder ins eigene Leben und Handeln zurückholen.“ Angehörige funktionieren in dieser Situation – ohne es selbst steuern zu können. „Wie sie sich fühlen und verhalten, ist ihnen fremd.“

Ihnen zu signalisieren, dass die Situation unerträglich, ihre Reaktion darauf aber normal ist, helfe enorm. „Wenn die Witwe dann plötzlich aufsteht, um sich umzuziehen oder Getränke zu holen, ist das ein wichtiges Zeichen für Empting. „Dann kehrt sie in ihr Leben zurück, kann wieder bewusst handeln.“

Hoffnung, dass Betroffene sich öffnen

Auch wenn die Kulissen und die Menschen immer völlig andere sind, so ähneln sich die Stunden, die er mit den Angehörigen am Küchentisch, auf der Bank oder auf dem Sofa verbringt. „Es geht vor allem ums gemeinsame Aushalten, ums Zuhören und um das Gespräch.“

Oft fängt er das mit der Frage an: „Mögen Sie erzählen?“ Und dann schweigt er oft lange, weil der Betroffene redet. Manchmal so intensiv und auf die Ereignisse fokussiert, dass Empting erst am Ende die Frage gestellt wird: „Wer sind Sie eigentlich?“

Nur selten wird nach einem Gebet gefragt

Nicht dass er mit seiner Notfallseelsorger-Jacke nicht deutlich zu erkennen wäre. Es zeigt aber, wie anders die Wahrnehmung der Angehörigen im Schock ist. Und wie sie erst bewusst mit den Ereignissen umgehen können, wenn sie diesen ersten Schock hinter sich gelassen haben.

Nur selten wird er dann nach einem Gebet oder einem spirituellen Impuls gefragt. Eine Kerze, einen Hefter mit Gebeten und einen Bronze-Engel hat er aber immer dabei.

Mit viel Empathie - und Gelassenheit

Denn er bleibt Seelsorger, auch wenn er nicht als Geistlicher oder pastoraler Mitarbeiter kommt. Er ist Computer-Fachmann, treibt Sport, ist sonst nicht in der Kirche aktiv. Aber er hat die Möglichkeit für sich entdeckt, Menschen in Not beizustehen. Früher bei der Telefonseelsorge und heute bei der Notfallseelsorge: „Ich selbst habe in nicht so schönen Zeiten auch Menschen gehabt, die für mich da waren – das kann ich jetzt zurückgeben.“

Indem er sich um die geschockte Seele von Menschen kümmert. Indem er mit viel Empathie und Gelassenheit in die Situation gehen kann. „Ohne würde ich das nicht schaffen.“

Er ist dann authentisch, strahlt wichtige Zuversicht aus, gibt Hoffnung, dass bei allem Schrecken ein bereicherndes Leben wieder möglich sein wird. Woher diese Ausstrahlung bei ihm persönlich kommt, spielt in diesem Moment keine Rolle, sagt Empting. „Entscheidend ist die Ehrlichkeit – wenn ich da Schauspielern würde, nähme mir das keiner ab.“

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