Ludger Bornemann darüber, wann ich wirklich ich bin

Auslegung der Lesungen vom 1. Fastensonntag (C)

Die Frage „Wer bin ich?“ ist für viele – gerade in unserer Zeit – drängend und zentral. Ob sich Jesus diese Frage auch gestellt hat? Ludger Bornemann geht in seiner Auslegung auf die Suche der eigenen Identität.

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Die Frage „Wer bin ich?“ ist für viele – gerade in unserer Zeit – drängend und zentral. Ob sich Jesus diese Frage auch gestellt hat? Ludger Bornemann geht in seiner Auslegung auf die Suche der eigenen Identität.

 

Gerade hatte uns der Aschermittwoch noch an unsere Begrenztheit erinnert: „Bedenke, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“ An diesem Tag fährt in Jerusalem eine kleine Gruppe von deutschen Freiwilligen und Gästen etwas aus der Stadt heraus nach Osten. Ganz schnell ist man in der Wüste. Sie feiern dort den Gottesdienst, wo nichts ist als Sand und Staub – aber wo man sich auch an die ersten Worte der Bibel erinnern kann: wüst und leer. Da sprach Gott! Da wurde Leben.

In dieser Wüste Juda erinnert die Tradition an die Versuchung Jesu. 40 Tage hätte er hier gefastet. In der Zahl der Fastentage klingt der Weg nach, den Mose mit dem Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste gezogen ist. Auch vom Propheten Elija wird erzählt, wie er 40 Tage und Nächte durch den Negev gewandert sei, hin zum Gottesberg im Sinai.

 

Was die Zahl 40 bedeutet

 

In einer jüdisch-rabbinischen Auslegung wird die Zahl 40 als eine irdische, menschliche Zahl angesehen. Erst wenn noch eine göttliche Zahl, die 7 (Schöpfungstage), hinzukommt, wird sie bedeutsam. Wenn man nun 40 mit 7 multipliziert, kommt 280 he­raus: so viele Tage dauert eine menschliche Schwangerschaft. Sie bezeichnet einen Entwicklungsprozess hin zu etwas Neuem, zu einer neuen Identität.

Lesungen und Evangelium vom 1. Fastensonntag (Lesejahr C) zum Hören und Lesen finden Sie hier.

Kann man das heutige Evangelium auch als einen Entwicklungsprozess der Identität Jesu verstehen? Der Evangelist Lukas hat zuvor von der Taufe Jesu erzählt. Hier hört er die Stimme des Vaters: „Du bist mein geliebter Sohn!“ Daran anschließend fügt Lukas einen Stammbaum Jesu ein, ausgehend von Josef bis herunter zu Adam: Der Gottessohn ist auch der Menschensohn, der „Erdling“, vom Staub genommen.

 

Gott ist der „Ich bin da“. Aber wer bin ich?

 

Das Menschenkind Jesus wird sicher von seinen Eltern den Text aus der Lesung gehört haben. Er gehörte zum Ritus beim Erntedankfest als an die Geschichte der Rettung Israels erinnerndes Glaubensbekenntnis: In allem heimatlosen Umherirren, in aller Not ist Gott der Handelnde an uns gewesen. Er hört und sieht und hilft uns. Daran sollen wir uns erinnern: dass unsere Not gehört wird, dass wir gesehen und angesehen sind und dass unser Weg aus der Heimatlosigkeit in ein Zuhause führt.

Gott ist der „Ich bin da“. Aber wer bin ich? Ob Jesus sich diese Frage auch gestellt hat, als „geliebtes Kind Gottes“ wie auch als Menschenkind mit seiner Entwicklungsgeschichte? Die Frage „Wer bin ich?“ ist für viele – gerade in unserer Zeit – drängend und zentral. Gibt es so etwas wie mein „Ich“, meine Identität in „Reinkultur“ noch vor allen Einflüssen durch andere? Oder sind wir einfach, was wir geworden sind – und ist das, was uns als Identität vorkommt, von Erziehung und Zeitgeist bestimmt?

 

Wer ist Jesus?

 

Das Glaubensbekenntnis aus der Lesung fordert zu einer bewussten Entscheidung. Durch ein freies öffentliches Bekenntnis gebe ich meinem Leben eine Richtung und Identität, nicht unbewusst wie so vieles andere, sondern bewusst. Das ist die Chance, mein Leben in das eine Verhältnis zu bringen, das mich frei macht: Der Israelit, der seine Erstlingsgabe zum Altar bringt, tut dies nicht als magische Beschwörung einer Gottheit. Er bekennt, dass Gott „mir“ so viel Gutes getan hat aus reiner, unberechenbarer Liebe. Vielleicht können wir das heute auch sagen: „Mir“ hat Gott dies getan, in den Menschen, auf die ich mein Leben zurückführe und in der jüdisch-christlichen Tradition, die mich geprägt hat.

Der Autor
Pfarrer Ludger Bornemann
Ludger Bornemann ist Rektor im Canisiushaus Münster und Geistlicher Leiter im Deutschen Verein vom Heiligen Land. | Foto: Michael Bönte

Diese Suche nach seinem „Wer bin ich?“ zeigt sich auch bei Jesus in den Versuchungen in der Wüste. Dort werden ihm drei Möglichkeiten angeboten – die er in sich selbst findet. Jesus hätte sie leicht als sein „wahres Ich“ annehmen können: Er könnte sich sagen, ich bin der, der Steine zu Brot werden lässt, der über alle Völker herrscht und der dabei spektakuläre Wunder im Namen Gottes vollbringt. Jesus aber entscheidet sich gegen diese Versuchungen und für eine Identität, die sich bestimmt aus der Erinnerung an die Geschichte Israels und aus der Erfahrung, dass Gott sein Leben trägt und rettet.

 

Der Glaube ist nicht „fertig“

 

Glaube ist nicht „fertig“ zu haben. Identität ist im Werden. Das ist auch bei Jesus so. Glaube ist nicht einmalige Willensentscheidung und auch nicht gehorsames Einhalten von Geboten. Es ist ein Weg. Der beginnt sehr unterschiedlich. Aber irgendwann stellt sich die Frage: Wer willst du sein? In welcher Beziehung willst du leben? Die Bibel ist ein solches Angebot der Identität mit der Erinnerung an die Beziehungsgeschichte Gottes mit den Menschen.

Der Anfang der 40 Tage auf Ostern zu ist eine gute Gelegenheit, die Selbstverständlichkeit alter Identitäten aufzubrechen und Neues zu suchen.

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