Kaplan Fabian Guhr aus Damme über Angst - und über Jesus im selben Boot

Auslegung der Lesungen vom 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B)

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Angst ist ein sehr menschliches Gefühl. Auch die Jünger Jesu durchleben es. Doch es gibt ein Gegenmittel - darauf weist Kaplan Fabian Guhr aus Damme hin.

Du brauchst keine Angst zu haben!“ Wenn ich diesen Satz höre oder ihn selber sage, ärgere ich mich in der Regel. Das Warum wird vielleicht mit einem Beispiel klar: Ich stehe am Bett einer Patientin, die gleich operiert wird. Die OP ist nicht nur lebenswichtig, sie ist auch nicht ungefährlich, das wissen wir beide. Die Patientin hat eine durchaus nachvollziehbare Angst vor der Operation und erzählt mir davon.

Nun stellen Sie sich einmal vor, ich würde ihr jetzt sagen: „Sie brauchen keine Angst zu haben!“ Und dann eventuell noch ergänzen: „Es wird schon alles gut gehen.“ Da ist es ist nicht besonders schwer, sich vorzustellen, wie die Patientin darauf reagieren würden.

Es gibt viele Situationen, in denen wir Angst haben, auch wenn sie in der Regel nicht so dramatisch sind wie in diesem Beispiel. In den seltensten Fällen reichte es dann zu sagen: „Hab keine Angst!“ Wenn Menschen mir das sagen, fühle ich mich in der Regel mit meiner Angst nicht ernst genommen. Dann fühle ich mich abgespeist und behandelt wie ein Kind.

 

Jünger sind voll Panik

 

Die Lesungen vom 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Von einer Angst-Situation erzählt auch das Evangelium: Jesus ist mit seinen Jüngern auf einem Boot, plötzlich kommt ein heftiger Sturm auf und das Boot droht zu kentern. Die Jünger bekommen eine nachvollziehbare Todesangst und Jesus verschläft das Ganze.

Als seine Jünger ihn in ihrer Panik wecken, nimmt er ihre Angst scheinbar gar nicht ernst, sondern macht ihnen sogar noch einen Vorwurf: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ Ist Jesus etwa kein guter Seelsorger? Nimmt er gar nicht wahr, wie es seinen Jüngern geht?

 

Was macht dir Angst?

 

Wenn wir uns die Frage „Warum habt ihr solche Angst?“ einmal in einer anderen Situation vorstellen, wird sie vielleicht etwas weniger problematisch. Denken wir etwa an ein Kind, das vor lauter Angst nicht schlafen kann und deshalb zu seinen Eltern kommt. In diesem Kontext kann die Frage „Warum hast du Angst?“ oder „Was macht dir Angst?“ manchmal helfen.

Die Frage kann die Perspektive auf eine Situation verändern und helfen, die Lage besser einzuschätzen. Wenn wir wahrnehmen, wovor wir Angst haben, kann uns das helfen, weniger von dieser Angst beeinflusst zu werden.

 

Vertrauen auf Gott

 

Allerdings reicht es häufig nicht aus, bei der einfachen Wahrnehmung stehen zu bleiben. Die Patientin vor der OP etwa weiß sehr genau, wovor sie Angst hat. Die Wahrnehmung dessen, was ihr Angst macht, wird ihr in ihrer Situation in der Regel wenig helfen.

Glücklicherweise ergänzt Jesus bei seiner Frage die Anrede „ihr Kleingläubigen“. Der Duden schreibt über das Wort „kleingläubig”: „abwertendes Adjektiv mit der Bedeutung ‚ohne festes Vertrauen, ängstlich‘“. Könnte es sein, dass Jesus mit diesem Satz ausdrücken möchte: „Habt Vertrauen! Ihr habt schon viel mit Gott erlebt, und ihr habt oft erlebt, dass er euch nicht verlässt. Seid nicht kleingläubig und ohne Vertrauen, sondern vertraut auf ihn.“

 

Gott verlässt uns nicht

 

Der Autor
Kaplan Fabian Guhr
Fabian Guhr ist Kaplan in St. Viktor in Damme. | Foto: privat

Jesus ist mit seinen Jüngern in einem Boot unterwegs. Etwas vereinfacht könnte man die Situation mit einer Redewendung übersetzen: Wir sitzen alle in einem Boot, und Jesus ist dabei.

Oder um es mit dem Bild der Mutter und dem Kind zu verbinden: Wie oft reicht es Kindern schon, wenn ihnen gesagt wird: „Ich bin direkt vor der Tür, ich lasse die Tür einen Spalt breit offen, dann kannst du noch das Licht sehen.“ Dem Kind wird signalisiert, dass es nicht allein ist, dass jemand da ist, um ihm zu helfen.

Vielleicht ist es genau das, was wir aus dem Evangelium mitnehmen können: die Zusage, dass wir von Gott nicht verlassen werden. Ich erlebe das in der Gemeinde immer wieder, dass viele Menschen ganz konkrete Situationen erzählen können, wo sie gespürt haben, dass Gott bei ihnen ist, dass sie Vertrauen in ihn haben können.

 

Gott sitzt mit uns im Boot

 

Das wird nicht dazu führen, dass wir als Christen niemals Angst haben. Das sollte es auch nicht. Aber wir dürfen uns zusagen lassen, dass wir darauf vertrauen können, dass Gott mit uns im Boot sitzt. Das verändert unsere Perspektive wie bei dem kleinen Kind, das nach dem Versprechen seiner Eltern dann doch schlafen kann.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit Gott immer wieder die Erfahrung machen, dass wir auf ihn vertrauen können und dass er uns zu sagt: „Ich bin bei dir alle Tage.“ Und dann können wir uns von Jesus auch sagen lassen: „Seid nicht mehr kleingläubig, sondern gläubig.“

Sämtliche Texte der Lesungen vom 12. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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