Pater Daniel Hörnemann: Nächstenliebe erhellt die Welt

Auslegung der Lesungen vom 15. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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Wie lassen sich Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe miteinander verbinden? Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird genau diese Möglichkeit beschrieben, weiß Pater Daniel Hörnemann und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„Ubuntu“ – diesen Namen halten viele für ein Kunstwort eines Werbefachmanns. Mit dem Produktnamen verbinden PC-Kundige ein Computer-Betriebssystem, das Mark Shuttleworth seit den frühen 2000er Jahren entwickelt. Er wollte es im Sinne des afrikanischen Namens „Ubuntu“ möglichst vielen Menschen zur Verfügung stellen durch fortwährend verbesserte Barrierefreiheit und Internationalisierung.

Das Wort „Ubuntu“ entstammt den Sprachen der Xhosa und Zulu im südlichen Afrika. Es meint „Menschlichkeit“, „Gemeinsinn“, „Nächstenliebe“, wie auch einen Glauben an das universal menschliche Teilen und die Erfahrung, selbst Teil eines Ganzen zu sein. Zu der mit „Ubuntu“ gemeinten Grundhaltung gehören gegenseitige Achtung und Anerkennung, Respekt vor der Menschenwürde und das Bemühen um eine harmonische, friedliche Gesellschaft. In Ruanda und Burundi bedeutet „Ubuntu“ zudem „gratis“, eine umsonst gegebene Gabe ohne notwendige Gegenleistung. Hätte Jesus sich einer afrikanischen Sprache bedient, wäre ein Teil seiner Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Gebot der Gottesweisungen vielleicht „Ubuntu“ gewesen.

Fundamentales an zehn Fingern abzählen

Die Lesungen vom 15. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Im Ersten Testament war es bereits eine geniale Leistung, die Grundweisungen der religiösen sowie sozialen Praxis im Zehnwort zusammenzufassen. Das Fundamentale konnte sich jeder an seinen zehn Fingern abzählen. Das Buch Deuteronomium gibt Moses Reden an das Volk Israel wieder, das sich auf die Überquerung des Jordan und die Einnahme des Verheißungslandes vorbereitet. In den Abschiedsreden des Mose erklärt er noch einmal, was ihm zeitlebens wichtig war, und spendet den zurückbleibenden Israeliten Trost. Gott schenkt Israel seine Liebe und Treue. Das menschliche Echo wäre, Gott aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft zu lieben (Dtn 6,5).

Das Wort Gottes ist „ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten“. Es zu befolgen ist keine Überforderung des Menschen, vielmehr steht es in unseren Möglichkeiten, sich daran zu halten und aus diesem Wort zu leben, es im Mund wie im Herzen zu tragen. In Lev 19,18 findet sich bereits die Weisung der Nächstenliebe. 

Samariter gleich Ersthelfer

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSB
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von „Kirche+Leben“. | Foto: Markus Nolte

Jesus fügt nach dem Lukasevangelium die beiden Zitate findig und tiefgründig zusammen zu einer wie aus einem Guss erscheinenden Formel, in der sich Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe miteinander verbinden. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter hält er uns den Spiegel vor Augen: Sind wir wie Priester oder Levit, die in vermeintlicher Treue zum Gottesgesetz sehenden Auges an dem ausgeraubten Verletzten vorbeigehen, ohne ihm zu helfen? Oder wie einer von den Samaritern, die jüdischerseits als Religions- und Volksfeinde betrachtet wurden, aber genau hinsehen und einem Opfer helfen?

„Samariter“ wurde nicht ohne Grund zum Synonym für Ersthelfer und selbstlose Helfer überhaupt. Dieser Mann hat sich wahrhaft als Nächster erwiesen. Aus seinem Mitgefühl heraus zeigte er Fürsorge von der Wundversorgung über den Krankentransport, die Beherbergung, sogar die Leis­tung von Vorkasse und die Zusicherung wiederzukommen. Wann habe ich selbst jemanden als „Nächsten“ erfahren? Wann konnte ich für jemanden „Nächster“ sein? An Gelegenheiten mangelt es wirklich nicht. Wie viele Menschen haben sich als „Samariter“ erwiesen in der Eifeler Flutkatastrophe oder jetzt in der Ukrainekrise. Ohne Gegenleistung schenken sie Unbekannten Aufbauhilfe, Zeit, Geld, Aufnahme, Menschlichkeit. Sie zeigen sich ohne große Worte als Nächste, die mit Rat und Tat Hilfsbedürftigen zur Seite stehen. Sie handeln „barmherzig“, das heißt aus existenzieller Betroffenheit heraus öffnen sie ihr Herz für den anderen und sind für ihn da.

Wir können diese Welt erhellen!

Die jahrelang gesundheitlich schwer beeinträchtigte jüdische Dichterin Rose Ausländer schrieb einmal:

„Immer sind es die Menschen
Du weißt es
Ihr Herz ist ein kleiner Stern
Der die Erde beleuchtet.“

Aus den Herzen von Menschen kann ein Licht hervorleuchten und die Fins­ternis der Welt erhellen. Gerade Zeiten von Kriegsnot, Pandemie, wirtschaftlichen und sozialen Nöten verdunkeln vielen Menschen die Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft. Wenn ausgerechnet dann Menschen statt zu denken „Jeder ist sich selbst der Nächste“, noch anderen Nächstenliebe erweisen, leuchtet ein göttliches Licht in die Dunkelheit und strahlt aus. Es ist tatsächlich möglich: Wir können diese Welt erhellen!

Sämtliche Texte der Lesungen vom 15. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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