Warum Jesus sogar Unkraut wachsen lässt: Impuls von Pfarrer Jan Magunski

Auslegung der Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis (A)

Wie oft glauben wir, Menschen nach dem aus „Aschenputtel“-Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ bewerten und einordnen zu können: „Der taugt was; den kannste vergessen ...“ Jesus geht einen ganz anderen Weg.

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Wie oft glauben wir, Menschen nach dem aus „Aschenputtel“-Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ bewerten und einordnen zu können: „Der taugt was; den kannste vergessen ...“ Jesus geht einen ganz anderen Weg.

Irgendwann in jedem Sommer kommt der Tag, an dem meine Mutter den in ihr angestauten Frust nicht mehr für sich behalten kann und will: Dann macht sie ihrem Ärger Luft und erzählt von dem ermüdenden Kampf, den sie schon seit Wochen, ja Monaten kämpft – und das gegen einen ungleichen Gegner. Immer wieder ignoriert er Zäune und Mauern, immer wieder dringt er in ihren Garten ein. Seitdem er auch vor dem Friedhof und dem Grab meines Vaters keinen Halt mehr macht, kann ich ihren Ärger leidlich verstehen: Gegen den Ackerschachtelhalm ist kein Krautvernichter gewachsen, jedenfalls kein biologisch abbaubarer.

Der Ackerschachtelhalm im Palästina zur Zeit Jesu war der Lolch, auch Tollkorn genannt: eine ziemlich giftige und gefährliche Pflanze; zudem heimtückisch, da er dem Weizen täuschend ähnlich sah. Da seine Wurzeln im Erdreich die Weizenwurzeln umschlungen, konnte man ihn eigentlich gar nicht früh genug ausreißen: Sonst musste man damit rechnen, dass man mit dem renitenten Unkraut später immer auch einen Teil der Ernte vernichtete. Heute weiß man von ausgegrabenen römischen Gesetzestafeln, dass solche Unkrautprobleme schon damals diskutiert wurden. Demnach galt in der Tat: Wehret den Anfängen!

 

Entwicklung ist möglich

 

Das Evangelium vom 16. Sonntag im Jahreskreis (A, Kurzfassung) zum Sehen und Hören auf unserem Youtube-Kanal

Umso mehr irritiert Jesus, wenn er eine andere Herangehensweise bevorzugt und seine Zuhörer auffordert: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus.“ Wie so oft geht es dem Mann aus Nazareth nicht um den Lolch an sich. Schließlich erzählt er ein Gleichnis – so will er seine Verhaltensmaxime auf den Umgang mit den Mitmenschen in der erweiterten Jüngerschaft übertragen wissen. Denn während beim Kraut (sieht man einmal von der „nouvelle cuisine“ ab) von vorn herein festgelegt ist, ob es „gut“ oder „böse“, also brauchbar oder nutzlos, sinnvoll oder störend daherkommt, ist beim Menschen Entwicklung möglich: ein Leben lang. Darauf setzt der Gottessohn in all seinem Reden und Tun.

Zum besseren Verständnis lohnt eine Einordnung in den historischen Kontext: Als der Evangelist Matthäus den Text niederschrieb, steckte die junge Kirche noch in ihren Anfängen. Gleichzeitig hatten sich bereits erste Gruppen herausgebildet, die sich – wie etwa die Zeloten, andere sich entwickelnde Reinheitsbewegungen oder die Leute von Qumran – für besonders fromm und damit für etwas Besseres hielten. Die meinten, über den Dingen und über den anderen zu stehen. Sie wollten sich über die vermeintliche Mittelmäßigkeit aller sonstigen Anhänger Jesu erheben, sie grenzten sich als kleine Herde der „wahren Nachfolger“ bewusst von ihnen ab.

 

Die Guten ins Töpfchen ...

 

Genau diese Praxis stellt der Gottessohn aber in Frage: Am Ende steht es ihm allein zu, über die Jüngerinnen und Jünger zu richten, am Ende haben nicht Menschen über die Qualität des Lebens und Wirkens anderer zu befinden, sondern allein der Herr der Ernte.

Der Autor
Jan Magunski ist Pfarrer in St. Marien und St. Josef in Münster sowie Schulseelsorger in Münster.

Was in fundamentalistischen Kreisen oft extrem ausgeprägt ist – sich für besonders erwählt zu halten –, beinhaltet letztlich eine Versuchung, die Menschen aller Schichten und Zeiten kennen. Wie oft glauben auch wir – nach dem aus „Aschenputtel“ bekannten Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ – uns und unsere Mitmenschen bewerten und einordnen zu können: „Der taugt was; den kannste vergessen ...“

Und nicht selten haften einmal gefällte Urteile unseren Freunden und Feinden für lange Zeit, wenn nicht ein Leben lang an: Wer erst einmal auf dem ideellen Komposthaufen gelandet ist, kommt da kaum wieder runter, auch wenn er sich noch so bemüht.
Vor solcher Vorverurteilung will Jesus mit seinem Gleichnis warnen: Niemand ist allezeit nur ganz gut oder ganz schlecht. Martin Luther hat später betont, dass der Mensch – jeder Mensch – immer „simul iustus et peccator“ ist, zugleich gerecht und sündig.

 

Nutzpflanze im Schöpfungsgarten

 

Wie viel wichtiger ist es also, anderen das zuteil werden zu lassen, was wir auch von ihnen für uns erhoffen: an das Gute im Menschen zu glauben, ihn durch ein offenes, entgegenkommendes Klima zu fördern, für Chancengleichheit zu sorgen und ihm Mut zu machen, auch bei Rückschlägen auf die positiven Lebensanteile zu setzen. Das an diesem Sonntag gelesene Evangelium legt den Schwerpunkt klar auf den guten Samen – und damit auf das Gute im Menschen.

So hat Jesus Christus es vorgelebt – so (denke und hoffe ich) wird er auch mir begegnen. Selbst wenn ich manchem Zeitgenossen ein Dorn im Auge sein mag (oder eben, um im Bild zu bleiben, ein Ackerschachtelhalm), glaubt Jesus an das Potenzial, das ich in mir tragen darf. Das mich mit seiner Hilfe und gelebtem Vertrauen vielleicht noch einmal über mich selbst hinauswachsen – und zur Nutzpflanze in seinem großen Schöpfungsgarten werden lässt.

Sämtliche Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 16. Sonntag im Jahreskreis (A) finden Sie hier.