Georg M. Kleemann aus Haltern über Unkraut und das Reich Gottes

Auslegung der Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A)

Für die einen ist Unkraut nervig, für andere eine ungeliebte Blume. Im Evangelium nutzt es Jesus für ein Reich-Gottes-Gleichnis. Was es damit auf sich hat, erläutert Georg M. Kleemann, Pastoralreferent in Haltern, in seiner Auslegung der Sonntagslesungen.

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Für die einen ist Unkraut nervig, für die anderen eine ungeliebte Blume. Im Sonntags-Evangelium nutzt es Jesus für ein Reich-Gottes-Gleichnis. Damit nicht genug, es folgen noch zwei weitere. Was es damit auf sich hat, erläutert Georg M. Kleemann, Pastoralreferent in Haltern, in seiner Auslegung.

Schonungslose Unkrautbekämpfung hat riskante Nebenwirkungen – noch lange vor Glyphosat & Co. bewegt diese Einsicht den Gutsherrn im heutigen Gleichnis. Seine Knechte sind aus landwirtschaftlicher Sicht vermutlich völlig im Recht, wenn sie das heimlich von „einem Feind“ gesäte Unkraut ausreißen und damit jede Verunreinigung des Weizenfeldes beseitigen wollen. Doch hält der Gutsherr sie zurück: Er hat Angst, dass mit dem Unkraut auch etwas von dem Weizen Schaden nehmen könnte. Erst zur Erntezeit soll sortiert werden: das Unkraut ins Feuer, der Weizen in die Scheune.

„Nur Geduld!“, scheint der Text uns zu sagen. „Lasst euch nicht verunsichern von Widrigkeiten, von Gegnern, ja vom Bösen selbst. Es geht vielleicht langsam und unscheinbar voran, aber am Ende wird das Ergebnis großartig sein und ihr werdet ins Recht gesetzt.“ Wer so geduldig ist, zeigt wahrhaft Stärke.

 

Starke sind nicht die Stärksten

 

Die Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Auf diese Spur führt auch die Weisheitslesung. Wahre Stärke erweist sich nicht im unmittelbaren Dreinschlagen – das tun nur die eigentlich Schwachen, sich ihrer selbst Unsicheren: Sie müssen sich ihre Macht bestätigen, indem sie sie an anderen auslassen. Wahre Stärke hingegen lässt Milde walten, sie wartet ab, ob sich beim anderen nicht doch etwas zum Besseren wendet. Und sie setzt sich nicht an Gottes Stelle, sondern überlässt das letzte Urteil ihm, der der eigentlich All-Mächtige ist. Ein Aufruf zu geduldigem Nicht-Einschreiten, zu Gewaltlosigkeit liegt in der Linie dieser Auslegung. Oder wird die Gewalt nur ans Ende verschoben, wenn das Feuer lodert, in dem das Unkraut verbrannt wird?

Vielleicht hängen wir aber noch zu sehr an einer Eindeutigkeit bei der Unterscheidung von Weizen und Unkraut. Die Gleichnisdeutung in der Langfassung des Evangeliums – als wäre ein Gleichnis ein Rätsel, für das es nur eine Lösung gäbe … – trennt ja unmissverständlich zwischen den „Kindern des Reiches“ und den „Kindern des Bösen“, dazwischen gibt es kein Drittes. In der Bildwelt des Gleichnisses besteht diese Eindeutigkeit jedoch nicht: Im Originaltext ist mit „Unkraut“ nämlich eine bestimmte Pflanze gemeint: der Schwindelweizen, ein Gras, das in seinem Anfangsstadium dem Weizen gleicht, aber wegen eines Pilzbefalls oft giftig ist.

 

Ein Ärgernis für Reinheitsfanatiker

 

Der Autor
Georg M. Kleemann

Georg M. Kleemann ist Pastoralreferent in St. Sixtus, Haltern am See. | Foto: privat

Rasches Handeln wäre nun aber doch umso mehr gefragt, damit nicht die ganze Ernte durch giftiges Gras verunreinigt würde! Warum gebietet der Gutsherr den eifrigen Knechten Einhalt? Weil vielleicht gerade gar nicht zwischen Weizen und Unkraut unterschieden werden kann und die Gefahr zu groß ist, statt des Unkrautes einen Weizenhalm auszureißen? Warum wiegt diese Gefahr schwerer als die umgekehrte, dass giftiges Gras in die Ernte gelangt?

Dieser Gutsherr muss Reinheitsfanatikern ein Ärgernis sein. In der Geschichte der Kirche waren solche Menschen immer wieder darum bemüht, das Christentum von schädlichen Fremdeinflüssen zu befreien, die das „Eigentliche“ des Glaubens überformt und entstellt hätten.

Dennoch hat sich dieses Christentum von Beginn an und immer wieder vermischt mit Kulturen, Weltanschauungen und Bewegungen, sodass es nie das „eine, reine“ Christentum gab und eine Rückabwicklung dieser Vermischung – „Entweltlichung“ hieß das vor einigen Jahren – unmöglich ist. Wo die Grenzen zwischen Weizen und Unkraut verlaufen, bleibt unklar – sie sind jedenfalls nicht identisch mit den Grenzen des kirchlich verfassten Chris­tentums. Der Unterschied stellt sich erst bei der „Ernte“ heraus, wenn sich also etwas im Endergebnis als Gift oder Nahrung erweist.

 

Die Schwächen in mir selbst

 

Der Römerbrief gibt dem noch eine Wendung ins Innerliche. Mit unserer „Schwachheit“ ist dort nicht einfach Sprachlosigkeit gemeint, sondern vielmehr eine tiefgreifende Selbst-Undurchsichtigkeit: Ich kann in mir selbst oft die guten und die bösen Triebe nicht unterscheiden, ich bin mir nicht sicher, wo gute Absichten und schlechte Wirkungen miteinander verwoben sind, und muss zuletzt darauf vertrauen, dass Gott selbst in seinem Geist sich meiner annimmt. Die Herzenserforschung durch den Geist deutet dann in einem ganz anderen Sinn auf eine „Läuterung“ hin, als Reinheitsfanatiker jeder Couleur es sich vorstellen würden.

Vielleicht ist es dann auch nicht ganz abwegig, statt an ein finales Feuer an einen Läuterungsprozess zu denken, in dem sogar aus „einem Feind“ ein Freund wird.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 16. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

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