Pater Daniel Hörnemann aus Gerleve über eine nicht geschehene Berührung

Auslegung der Lesungen vom 2. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B)

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Es ist wohl die berührendste Oster-Erfahrung, von der die Bibel berichtet: die Begnung des auferstandenen Christus mit Thomas. Der wollte seinen Meister berühren, bevor er glauben konnte. Doch ist es wirklich soweit gekommen, wie auch das berühmte Bild von Caravaggio meinen lässt? Antworten in der Schriftauslegung von Pater Daniel Hörnemann OSB aus der Abtei Gerleve.

Wegen hoher Verschuldung löste ein Nachfahre des Kunstliebhabers Vincenzo Giustiniani, der das Bild wohl in Auftrag gegeben hatte, die Familienkunstsammlung auf. König Friedrich Wilhelm III. erwarb 1815 fünf Caravaggio-Gemälde für ein öffentliches Museum in Berlin. Ausgerechnet das in dunklen Brauntönen gehaltene Werk „Der ungläubige Thomas“ (Foto oben) wurde zunächst als nicht genügend qualitätsvoll aussortiert und weggehängt. 1855/56 kam es endlich in die Bildergalerie des Potsdamer Schlosses Sanssouci.

Michelangelo Merisi da Caravaggio hat die Szene um 1601 gemalt. Sie lässt einen zurückschrecken, so intensiv ist die Wirkung des abgebildeten Geschehens. Der Betrachter empfindet den Schmerz geradezu selbst körperlich mit und wird Zeuge nicht nur einer Untersuchung, sondern fast einer Vergewaltigung. Ein Mann in bäuerlicher, abgerissener Kleidung sticht den langen Zeigefinger seiner groben, verschmutzten Hände in die klaffende Seitenwunde eines anderen Menschen mit fahler Haut und blassem Gewand.

 

Thomas ist übergriffig

 

Die Lesungen vom 2. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Was für eine Übergriffigkeit, was für eine dreiste Penetration ins Innerste eines anderen! Und das vor zwei intensivst teilnehmenden Zuschauern, die gebannt und mit zerfurchter Stirn das Geschehen betrachten. Zudem führt der Verletzte dem Eindringling noch selbst die forschende, fast brutale Hand, wehrt ihn nicht ab, sondern lässt die Berührung der tiefen Wunde zu. Jesus hat sich dem Thomas mit seinen weit aufgerissenen Augen und hochgezogener Stirn zugeneigt, seine eigenen Gesichtszüge sind geprägt von Nachsicht und ergebener Geduld.

Dabei steht überhaupt nichts von der dargestellten Szene im Evangelium. Ausschließlich bei Johannes findet sich die Thomasgeschichte. Wir meinen, diese Geschichte gut zu kennen und zumindest das genau zu wissen, dass der ungläubige Thomas Jesus berührt hat. Doch ist in ihr keineswegs die Rede davon, dass Thomas de facto seine Hand in die Seitenwunde Jesu gelegt hat. So sagt der Meister zu ihm ausdrücklich „Weil du mich gesehen hast, glaubst du.“ Von einer Berührung oder gar einer Zudringlichkeit wird nichts gesagt.

 

Prototyp des Zweifelns - und des Glaubens

 

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Thomas hat wohl der Anblick Jesu und seiner Wunden schon ausgereicht, um das kürzest formulierte Glaubensbekenntnis folgen zu lassen: „Mein Herr und mein Gott!“ Er kam durch die direkte Anschauung und Begegnung zum Glauben. Jesus preist jedoch die selig, die ohne das Sehen zum Glauben gelangen. Zweifel sind der Normalfall. Wir können uns doch nur auf das Hörensagen verlassen. Auf das, was uns andere Menschen mitgegeben haben, die vor uns geglaubt und gezweifelt haben. Da ist uns Thomas gar nicht fremd. Er ist der Prototyp des Zweifelns – und des Glaubens.

Von ihm sind uns vier Aussagen überliefert, die die gesamte Entwicklung seines Glaubens zusammenfassen. Da war der anfängliche Übereifer auf dem Weg nach Jerusalem: „Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben!“ (Joh 11,16). Beim Letzten Abendmahl stellte er alles in Frage: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?“ (Joh 14,5). Nach der Katas­trophe von Golgotha hört er erste Stimmen von der Auferstehung Jesu sprechen, er aber kann es nicht fassen: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (Joh 20,25). Thomas kommt jedoch über sein Nichtglaubenkönnen hinaus zu seinem persönlichen Credo: „Mein Herr und mein Gott!“

 

Die Beweise bleiben aus

 

Das Ostergeheimnis kann nur der Glaube erfassen. Eine sinnliche Erfahrung, etwa das Berühren mit den Händen und Fingern, führt nicht zum Glauben. Es gibt keinen hieb- und stichfesten Beweis dafür. In Caravaggios Bild ist noch nicht sichtbar, dass und wann sich das Wunder des Glaubenkönnens in Thomas vollzieht. Das Gemälde stellt eine Frage, die dem forschenden Verstand keine Ruhe lässt.

Die Gemeinde der Gläubigen hat die Osterwirklichkeit über den Verstand hinaus erfasst, nur so konnten die Apostel mit großer Kraft Zeugnis ablegen von der Auferstehung Jesu, des Herrn (Apg 4,33). Durch ihren Glauben konnten sie das überwinden, wofür die erfahrbare Welt auch in ihrer Negativität steht (1 Joh 5,4).

Der ungläubige und dann doch tiefgläubige Thomas ist der Patron aller, die sich zunächst mit Wagnis des Glaubens schwertun und sich dann doch darauf einlassen. Darin kann er auch mir Vorbild sein.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 2. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B) finden Sie hier.

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