Pater Daniel Hörnemann: Von Gottes Ruf und richtigem Hören

Auslegung der Lesungen vom 2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B)

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Wie kann ich wissen, ob wirklich Gott zu mir spricht? Die Lesungen dieses Sonntags erzählen von Erfahrungen des jungen Samuel und der ersten Jünger Jesu. Benediktinerpater Daniel Hörnemann gibt in seiner Auslegung einen Hinweis aus der Benediktsregel: Auf das richtige Hören kommt es an.

Es gab eine Zeit, als man die Stimme des Herrn nur mehr selten hörte und Visionen nicht häufig vorkamen. Eine aussichtslose Lage herrschte in Israel. Das galt für das 11. Jahrhundert vor Christus. Wer heutzutage anderen davon erzählt, dass er Stimmen hört oder Visionen hat, erntet rasch Spott oder wird als psychisch krank angesehen.

„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, so wird der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt häufig zitiert. Später erklärte er dazu: „Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage.“ Schmidt bezog sich auf die Doppelbedeutung von „Vision“ als langfristige Zukunftsvorstellung beziehungsweise als optische Erscheinung oder Sinnestäuschung.

 

Ein doppeldeutiger Name

 

Die Lesungen vom 2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Viele Menschen haben schon einmal Stimmen im Kopf gehört. Für manche ist das ein harmloses, vorübergehendes Phänomen, andere leiden extrem darunter. Stimmenhören mag auf eine schwerwiegende Erkrankung der Psyche oder des Gehirns hindeuten, was unbedingt fachärztlich abgeklärt werden sollte.

Was war mit dem Stimmenhören bei dem jungen Samuel? Seine Mutter, die sich nach einem Kind sehnte, gab ihm den doppeldeutigen Namen „Samuel“: „Von Gott erbeten“ beziehungsweise „Hört auf Gott“. Er wurde Schüler des Hohenpriesters Eli. Er schlief an seiner Lehrstätte, den eigentlichen Herrn des Tempels kannte er jedoch noch nicht aus eigener Erfahrung. Gottes Wort hatte sein Innerstes noch nicht persönlich und existenziell erreicht. Dreimal ließ sich Samuel in der Nacht von Gott wecken, meinte aber, sein Lehrmeister habe ihn gerufen.

 

Gott stört auf

 

Der ältere und erfahrene Priester Eli braucht selbst drei Anrufe, bis er versteht, worum es im Tiefsten geht. Beide können sich das Phänomen zunächst nicht erklären. Endlich instruiert dieser das aufgeweckte Kind, was es sagen soll. Der Herr ruft ihn unmissverständlich nunmehr zweimal beim Namen und Samuel erklärt seine Hörbereitschaft auf den Anspruch des Herrn. Er wird zum letzten Richter in Israel und zum Propheten berufen. Unter Samuel wird das Königtum unter Saul ausgerufen und Israel steigt zur Großmacht auf. Samuel war bereit, sich von Gott in seinem Leben, bis hinein in den Schlaf, ob gelegen oder ungelegen, aufstören zu lassen. Er ging in die Schule des Hörens.

Gott wirkt über die Sprache. Schon in der Schöpfungserzählung: Die ganze Schöpfung hört auf sein Wort und entfaltet sich darauf hin. Gott richtete sein Wort an viele Leitfiguren Israels: Abraham, Mose, Elija und alle weiteren Propheten. Jesus hörte auf die Stimme seines Vaters und wird selbst derjenige, der andere ruft, als erste Andreas, Johannes und Petrus.

 

„Neige das Ohr deines Herzens“

 

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSB
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Der Ordensvater Benedikt beginnt Jahrhunderte später seine Regel mit dem Zentralwort „Höre!“ – „Neige das Ohr deines Herzens und setze das Gehörte in die Tat um!“ Bei den ersten Jüngern schien das prompt zu funktionierten: Sie hörten und folgten Jesus sofort ohne jegliches Zögern.

Ist Berufung nur etwas für außergewöhnliche Menschen? Wie geschieht sie? Kann jeder Mensch die Stimme Gottes in seinem Leben hören? Die Bibel macht deutlich, dass eine Berufung unterschiedliche Menschen trifft, Zeit braucht und nicht auf einmal geschieht. Sie ist ein Prozess. Samuel braucht den mehrfachen Anruf.

Von Mose wird der längste Berufungsprozess der ganzen Heiligen Schrift erzählt. Die meisten Berufenen machen zunächst Einwände, die dann erst entkräftet werden müssen. Jeremia sieht sich als viel zu jung für die Berufung, Jesaja schreckt vor ihr zurück, Jona macht sich sogar auf die Flucht.

 

Fragen über Fragen

 

Aber wen Gott will, den will er. Wir gehören nicht uns selbst (1 Kor 6,19). Berufung geschieht unerwartet, beglückend, erschreckend, befreiend, schmerzlich, quälend. Sie durchkreuzt die Lebenspläne. Wozu bin ich gerufen? Zentrale Fragen im Leben sind: Wer bin ich? Wohin will ich gehen? Wenn ich mich aufmache, wird die Energie des Anfangs anhalten? Trägt die Begeisterung ein Leben lang oder verblasst sie irgendwann? Lockt mich die Stimme noch, wenn es schwierig wird, wenn mir das gewählte Leben wie ein Käfig erscheint?

Im tiefsten Inneren mag sich die Überzeugung verwurzelt haben: „Das ist es. Ich kann nicht anders, egal was andere sagen oder welche Sonderangebote mir sonst noch gemacht werden.“ Es ist meine urpersönliche Entscheidung, Christ sein und bleiben zu wollen, zur Einladung Jesu immer neu Ja zu sagen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 2. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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