Pater Daniel Hörnemann OSB: Von der Kunst des Hörens

Auslegung der Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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„Höre, Israel, die Weisungen des Herrn. Hört, und ihr werdet leben!“, heißt es in der Grundsatzrede Mose in den Lesungen dieses Sonntags. Dieses Zuhören sei eine Kunst, sagt Pater Daniel Hörnemann und legt unter dieser Prämisse die Lesungen dieses Sonntags aus.

Eines der bekanntesten Firmenlogos der Welt schuf 1898 der englische Maler Francis Barraud. Er hatte beobachtet, wie der Hund seines verstorbenen Bruders am Edison-Phonographen intensiv lauschte. Er spitzte besonders dann die Ohren, wenn seines Master’s Voice aus dem Schalltrichter ertönte. So wurde der kleine weiße Terrier-Mischling „Nipper“ zu einer der weltweit bekanntesten Werbe-Ikonen und zum berühmtesten Hund der Schallplattenindustrie.

Er hörte wirklich auf die Stimme seines Herrn und brauchte nicht eigens eine Aufforderung dazu, wie sie in den Lesungen dieses Sonntags an die Menschen ergeht. „Höre!“ wurde zum Hauptwort des Glaubens Israels genauso wie zum Grundwort des christlichen Lebens nach der Regel des Heiligen Benedikt.

Im Buch Deuteronomium, der wohl längsten Abschiedsrede der Welt, fordert Mose seine Leute auf: „Höre, Israel, die Weisungen des Herrn. Hört, und ihr werdet leben!“ Die Strahlkraft der Grundsatzrede des Mose zeigt sich schon darin, dass sie über 40-mal im Neuen Testament zitiert wird. Das Hören hat fundamentale Bedeutung für die Beziehung des Menschen zum Gott des Lebens.

 

Verstehen geht nicht im Nebenbei

 

Die Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

Das „Höre Israel!“ – Schma Jisrael – (Dtn 6,4) wurde zum israelitischen Glaubensbekenntnis und Grundgebet. An dessen Anfang steht die monotheistische Quintessenz des Judentums: „Höre Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins.“ Mit demselben Wort „Höre!“ beginnt der heilige Benedikt von Nursia seine Regel. Ein Entgegen-Horchen, die Grundhaltung engagierter Achtsamkeit, die volle Aufmerksamkeit von Ohren und Herz auf einen anderen und dessen Worte, sind gefordert. Das hilft, Kommunikation aufzubauen, vom anderen anderes als das Eigene und bereits Gekannte zu empfangen und mögliche Missverständnisse zu klären. Der Hund „Nipper“ wäre bestimmt ein guter Benediktiner geworden …

Dem anderen Gehör zu schenken, ist eine besondere Form der Wertschätzung und Einfühlsamkeit. Dabei mag der andere sogar beim Aussprechen seiner Fragen bereits selbst Antworten finden, die der Gefragte gar nicht hat. Verstehen – das geht nicht im Nebenbei, es hat mit Stehenbleiben, verweilen, sich Zeit nehmen für den anderen und seine Position zu tun.

 

Ständig auf Empfang

 

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Mönchsein geht für Benedikt einher mit der Kunst des Hörens. Wir können zwar unsere Augen verschließen vor der Wirklichkeit dieser Welt und würden auch gerne mancherlei Geräusche ausblenden, aber unsere Ohren stehen ständig auf Empfang. Vielleicht war das in Urzeiten überlebenswichtig. Das Geschenk des Hörenkönnens wissen nur die wirklich zu schätzen, die es neu oder wieder erlangen, die dank Fortschritten in Medizin und Technik erstmals die Stimme von Mutter oder Vater, Freundin oder Partner zu hören bekommen.

Ein ganz anderes Phänomen ist das Nicht-Hören-Wollen. Aus vergangener Kindererziehung mag noch die Drohung im Ohr klingen: „Wer nicht hören will, muss fühlen.“ Wer nicht gehorchte, musste mit Prügelstrafe rechnen. Mose hält die Israeliten zum Hören und Gehorchen an, das Gehörte soll in die Praxis umgesetzt werden, nicht aus Angst vor Strafe, sondern als Verwirklichung einer tiefen Beziehung, „denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie der Herr, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen?“ (Dtn 4,7). Der Jakobusbrief (1,21f) mahnt in ähnlicher Weise zur gelebten Praxis: „Nehmt euch das Wort zu Herzen, das in euch eingepflanzt worden ist und das die Macht hat, euch zu retten. Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst.“

 

Was ist in meinem Leben wirklich echt?

 

Ein Zerrbild des rein äußerlichen Hörens auf die Weisungen Gottes bieten Pharisäer und Schriftgelehrte. Die Lebensregeln sollen das Innere formen und das Herz prägen, nicht jedoch zu toten Buchstaben werden. Die Menschen sollen sich von allen repressiven Konventionen und Traditionen befreien. Nur was aus dem Herzen kommt, ist von Belang.

Jesus will die Menschen dazu bringen, dass sie sich fragen: Was ist in meinem Leben wirklich echt, wohin führt mein Lebensweg? Für ihn war es immer sehr wichtig, dass das Wesentliche, der Inhalt, nicht mit der äußeren Form verwechselt werden darf. „Wer Ohren hat, der höre!“ (Mt 11,15). Nutze deine Sinnesfähigkeiten, gib acht auf das Wesentliche!

Denn: „Nach dem Maß eures Zuhörens wird Gott euch Verständnis geben, ja noch über das Maß eures Zuhörens hinaus.“ (Gute Nachricht, Mk 4,24).

Sämtliche Texte der Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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