Pater Daniel Hörnemann: Gott ist kein Wichtigtuer

Auslegung der Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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Ist Bescheidenheit in unserer Gesellschaft weiterhin eine Tugend? Unbedingt, sagt Pater Daniel Hörnemann und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Bei einem Büchermarkt auf dem Bauernhof der Abtei Gerleve hätten Sie die Chance gehabt, ein „Poussieralbum“ zu erwerben. So haben frühere Generationen im Münsterland das „Poesie-Album“ verballhornt. Fein säuberlich haben Lehrerinnen und Mitschülerinnen Verse wie die folgenden eingetragen: „Sei wie das Veilchen im Moose, Bescheiden, sittsam und rein, Und nicht wie die stolze Rose, Die immer bewundert will sein.“ 

Wie viele Mädchen haben wohl vor Jahrzehnten ähnliche Sprüche in ein solches Album geschrieben bekommen? Das klingt alles altbacken und moralistisch. „Bescheidenheit“ zählt zu den sogenannten preußischen Tugenden. Deren Begründer war König Friedrich Wilhelm I. Er hatte bei seiner Thronbesteigung einen heruntergekommenen, überschuldeten Staat mit harter Hand reformiert und saniert. Für Prunksucht und Luxus war fortan kein Geld mehr da. Sparsamkeit, Ordnung, Fleiß und Bescheidenheit wurden zur Devise des ungehobelten, aber gottesfürchtigen Königs.

Was einen bescheidenen Menschen ausmacht

Die Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Seinem Sohn, Friedrich dem Großen, wird der Satz zugeschrieben: „Lieber Gott, falls es dich gibt: Rette meine Seele, wenn ich eine habe.“ Dieses königliche Zweifler-Gebet drückt ebenfalls Bescheidenheit aus. Wer so betet, weiß um seine Grenzen und um seine Hilfsbedürftigkeit.

Das liegt ganz auf der Linie des Jesus Sirach. Diesem alttestamentlichen Weisheitslehrer ging es um 175 vor Christus um die Grundhaltung des Menschen gegenüber Gott und dem Nächsten. An Ehrfurcht und Vertrauen gegenüber Gott, an seiner Solidarität, seinem Mitgefühl und seiner Liebe zu den Mitmenschen lässt sich ein bescheidener Mensch erkennen.

Bescheidenheit als Karrierekiller?

Bescheidenheit ist der Gegenpart von Geltungssucht, Überheblichkeit, Maßlosigkeit und Prunksucht. Sie bezeichnet das rechte Verhältnis in den Lebenserwartungen, sowohl gegenüber den eigenen Kräften wie in den Ansprüchen an die Umwelt. „Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann?“ (1 Kor 4,7). Gott, dem Schöpfer, allein steht der Dank für das vom Menschen Erworbene und Erreichte zu. Es genügt, die eigenen Fähigkeiten als Gaben anzunehmen und zu nutzen.

Ob von Erich Kästner oder Wilhelm Busch, die Quelle ist unklar, aber der Holperreim ist eindeutig: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommst du ohne ihr.“ Einerseits wird hier behauptet, dass einem Menschen ein solcher Wesenszug gut zu Gesicht steht, andererseits wird die dadurch geschmückte Persönlichkeit es im Gesellschaftsleben wohl nicht sehr weit bringen. Viele halten Bescheidenheit für einen der Top-Ten-Karrierekiller.

Gott gibt Raum

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von „Kirche+Leben“. | Foto: Markus Nolte

Dennoch erscheinen heute noch Ratgeber und Handbücher über „Die Kunst der Bescheidenheit. Wie wenig man zum glücklichen Leben wirklich braucht“ oder „Wenn weniger mehr ist: Philosophie der Bescheidenheit“.

Warum wird Bescheidenheit weiterhin für wichtig gehalten? Vor allem deshalb, weil Gott selbst so bescheiden ist. Gott ist kein lauter Wichtigtuer, er drängt sich nicht auf und gibt uns Raum. Bescheidenheit ist deshalb wichtig, weil Gott nur dann seine Größe zeigen kann, wenn wir uns nicht selbst groß machen. Bei dem niederländischen Theologen Erwin Roosen fand ich diesen Impuls:
„Du brauchst nicht größer zu erscheinen, als du bist – sagt Gott. Ich weiß, wie es um dich steht. Ich kenne dich von außen wie von innen. In die Tiefen deines Herzens habe ich mein Herz hineingelegt. Vielleicht hast du das bereits entdeckt. Vielleicht noch nicht. Aber darauf kannst du vertrauen, dass ich für dich sorge, was auch immer passiert, und dass ich dich eines Tages einladen werde, für immer an meiner Freude teilzuhaben. Darauf kannst du dich jetzt schon vorbereiten. Durch dein Leben und Lieben in meinem Namen.“

Das Empfangene gut nutzen

Wie beruhigend! Ich muss mir meinen Platz nicht selbst aussuchen, Gott selbst lädt mich ein und führt mich an den von ihm vorgesehenen Platz für mich. Ich brauche mich gar nicht selbst zu erhöhen. Das Leben mit selbstgebauter Fassade kostet viel unnötige Kraft. Zudem führt es zu Einsamkeit hinter der Maskerade. 

Jesus hat keine Tischregel aufgestellt, mit der man sich geschickt bessere Plätze ergattert. Es geht um Sein, nicht um Schein. Dieses mein Sein verdanke ich letztlich dem Schöpfer. Alles ist Geschenk und braucht keinen Selbstruhm. Der Lebensauftrag besteht darin, mit dem Empfangenen gut umzugehen, es zu nutzen und nicht zu vergraben oder zu verstecken.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 22. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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