André Sühling: Der heilsame Raum der Freiheit

Auslegung der Lesungen vom 23. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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Sich zu öffnen, ist nicht immer leicht. Immer wieder sind Christinnen und Christen auf der Suche, sich gegenüber Jesus Christus und Gott zu öffnen, sich freizumachen. Mit der Frage, wie das gelingen kann, befasst sich André Sühling und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„Gib mir die Freiheit, ganz dir zu gehören!“ Diese Bitte begleitet mich in meinem geistlichen Leben und Beten seit vielen Jahren. Es ist eine Bitte, hinter der die Überzeugung steht: Als Mensch, als Teil der Schöpfung, verdanke ich mein Leben Gott. Hinter ihr steht zugleich der Wunsch, dass ich immer bewusster nur aus einem leben will: geliebtes Kind Gottes zu sein.

Die Taufe taucht hinein in die Beziehung zu Jesus Christus und dem dreifaltigen Gott. „Effata! – Öffne Dich!“ – wird dem Täufling dabei zugerufen, während ihm der Taufende Ohren und Mund mit dem Kreuzeichen bezeichnet. Nicht von ungefähr hat der heutige Abschnitt aus dem Markus-Evangelium Eingang in die Taufliturgie gefunden, der von der heilenden Begegnung zwischen Jesus und einem Tauben, der sich nur stammelnd artikulieren kann, erzählt. Als Getaufte gilt es, sich mit allen Sinnen für Gott und sein Wort zu öffnen, weil das dahin führt, entschieden als Kinder Gottes in dieser Welt zu leben.

Jesus schafft einen Raum der Freiheit

Die Lesungen vom 23. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.

Das ist leichter gesagt als getan. Denn es gibt manches, was im übertragenen Sinn das Hören erschwert und stammeln lässt: Da höre ich den Zuspruch, geliebtes Kind Gottes zu sein, doch ich muss mit Situationen umgehen, die mich auszehren und zunehmend mutlos machen. Da wird von der unbedingten Würde gepredigt, und ich erlebe ungerechte Behandlung und Herabwürdigung – eine Wirklichkeit, die der Jakobusbrief in der christlichen Gemeinde ausmacht, wenn das Ringen um Macht und Ansehen leitend wird. Da begegnen mir nicht nur Skepsis und Ablehnung, weil ich zur Kirche gehöre, sondern ich frage mich selbst, wie es um ihre Zukunft bestellt ist.

Wie weise und klug Jesus mit dem Taubstummen umgeht! Er nimmt ihn „beiseite, von der Menge weg“. Damit bringt er die Stimmen der anderen zum Schweigen und deckt darin die Abhängigkeiten, Denkmuster und Sorgen auf, die einen Menschen manchmal bewusst, doch oft unbewusst prägen. Jesus schafft in diesem Beiseitenehmen einen Raum der Freiheit, in dem der Mensch hören und selbst sprechen kann. Er eröffnet einen Raum der Begegnung mit ihm. Berührt von Jesus geht der Mensch mit der Erfahrung des Heilwerdens seinen Weg weiter.

Die Freiheit zur Öffnung und zum Gottvertrauen

Der Evangelist Markus erinnert: Ohne solche Rückzugsräume sind keine Freiheit und kein Heilwerden möglich. Wo sich diese Räume auftun, wird jede und jeder für sich beantworten müssen. Manchmal können ein Gottesdienst oder eine Gebetszeit ein solcher Moment sein, in dem Christus uns beiseite nimmt. „Gib mir die Freiheit, ganz dir zu gehören!“ In dieser Bitte öffnet sich mir jener Raum, in dem ich nicht nur mit dem eigenen Wahrnehmen, Denken, Reden und Handeln vor Jesus Christus komme, sondern auch lernen will, dies von ihm prägen zu lassen.

„Effata – Öffne Dich!“ Als Getaufter bin ich gerufen, mich mit allen Sinnen für Gott und sein Wort zu öffnen, um entschiedener in der Freiheit der Gotteskindschaft zu leben und aus ihr zu handeln. Dazu macht die Lesung aus dem Prophetenbuch Jesaja die Freiheit zur Hoffnung und zum Gottvertrauen stark. Geschrieben hin auf die alle Glaubensgewissheit erschütternde Erfahrung des babylonischen Exils des Volkes Israel wird die Vision vom Heilshandeln Gottes zum Grund für die Zuversicht schlechthin: Gott ist ein Gott des Lebens und ihm liegt am Leben. Was könnte diese Zuversicht nicht für Kraft entfalten in auszehrenden und entmutigenden Situationen! Der Taubstumme hat es erfahren.

Vom Ansehen der Person freimachen

Die Lesung aus dem Jakobusbrief mahnt, sich freizumachen „vom Ansehen der Person“. Dem Evangelium gemäß ist die Parteinahme für die gering oder nicht Geachteten. Was schreibt uns das nicht zum Beispiel im Blick auf den Einsatz für die Flüchtlingsfrage ins Stammbuch, auch wenn der politische und gesellschaftliche Druck bei diesem Thema zunehmend größer und Kirchenasyl auch kirchenintern kritisch hinterfragt wird! Dass der Kirche bei aller Kritik ihr gegenüber in soziologischen Erhebungen gerade das karitativ-soziale Engagement zugutegehalten und von ihr gefordert wird, unterstreicht die Notwendigkeit, in dieser Freiheit der Option für die Armen zu wachsen. 

„Sieh voll Güte auf alle, die an Christus glauben, und schenke ihnen die wahre Freiheit und das ewige Erbe.“ So bündelt das Tagesgebet der Messfeier dieses Sonntags die Gebete der im Gottesdienst Versammelten. Möge es zugleich alle Sinne schärfen für Gott und sein Wort.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 23. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B finden Sie hier.

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