Prälat Peter Kossen aus Lengerich über Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt und den Weinberg des Herrn

Auslegung der Lesungen vom 25. Sonntag im Jahreskreis (A)

Anders als die Arbeiter im Evangelium sind Arbeiter heute meilenweit vom Himmelreich entfernt. Prälat Peter Kossen aus Lengerich zeigt, wie politisch die Frohe Botschaft ist - und findet klare Worte, auch zur Bundestagswahl.

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Anders als die Arbeiter im Evangelium sind Arbeiter heute meilenweit vom Himmelreich entfernt. Prälat Peter Kossen aus Lengerich zeigt, wie politisch die Frohe Botschaft ist - und findet klare Worte, auch zur Bundestagswahl.

Der eine Denar zur Zeit Jesu war etwa das, was eine Familie für einen Tag zum Leben brauchte. Das Lebensnotwendige steht jedem Menschen zu, damals und heute, unabhängig von seiner Leistungsfähigkeit. Der Mensch ist das Maß, menschenwürdiges Leben ist ein Grundrecht. Hunderttausende in unserm Land sind da raus, obwohl sie hart arbeiten! Wie kann das?

Werkverträge und Leiharbeit werden in großem Stil missbraucht für Lohndumping und Ausbeutung. Die Fleisch-Industrie hat es vorgemacht, andere Branchen haben sich ein Beispiel genommen. Den Leiharbeitern wird dadurch vielfach für schwere Arbeit der gerechte Lohn vorenthalten. Man muss an vielen Stellen wirklich von „Ausbeutung“ sprechen und von „moderner Sklaverei“.

 

Krebsgeschwür in der Volkswirtschaft

 

Der Missbrauch der Werkverträge frisst sich wie ein Krebsgeschwür quer durch unsere Volkswirtschaft! Durch diesen Missbrauch werden in Deutschland – längst nicht nur in der Fleisch-Industrie – jeden Tag hunderttausende vor allem osteuropäische Arbeitsmigranten systematisch ausgebeutet: Im Hotelgewerbe, in der Getränke-Industrie, im Gemüseanbau, bei den Regal-Einräumern mancher Discounter, auf den Großbaustellen, im Metallbau, bei den Lkw-Fahrern und im Versandhandel … – vielfach finden wir ganz ähnliche Strukturen.

Das Evangelium vom 25. Sonntags im Jahreskreis (A) zum Sehen und Hören auf unserem Youtube-Kanal.

Es geht hier keinesfalls um Schlitzohrigkeit oder um ein Kavaliersdelikt. Es geht um sehr konkretes Unrecht, für das Menschen, auch „gute“ Katholiken, Verantwortung tragen. „Der Ruchlose soll seinen Weg verlassen“ – ob das gehört wird?

Werkvertragsarbeit wird als „Sachkosten“ verrechnet – als Sachkosten, nicht als Personalkosten! Hunderttausende haben in Deutschland diesen Status: Ihre Lohnkosten sind keine Personalkosten, sondern Sachkosten!

 

Sklaverei auf dem „Arbeitsstrich“

 

Einer der Riesen in der Fleischbranche hat gegenüber dem Magazin „Stern“ eingeräumt, wenigstens zehn Jahre lang der Unternehmer, der Subunternehmer und die Immobilienfirma gewesen zu sein, die die Wohnungen an die Arbeiter vermietet hat. Der gleiche Konzern war lange, wie andere auch, von der EEG-Umlage, also dem Beitrag für die Förderung der erneuerbaren Energien, befreit, weil er besonders viele Werkvertragsarbeiter beschäftigt hat und damit „Sachkosten“ nachweisen kann, die in der Bruttowertschöpfungskette bei über 14 Prozent liegen. So hat man doppelt gespart: durch Ausbeutung als solche und durch die Anerkennung der „Sachkosten“.

Die Arbeitnehmer-Entsendung ist in unserem Land tausendfach zum Menschenhandel verkommen: Arbeitsstrich und Straßenstrich sind Teil dieser menschenverachtenden Wirklichkeit. Entstanden sind rechtsfreie Räume, Parallel-Welten, richtige Subkulturen mitten unter uns! Es beginnt mit der Denke und zeigt sich in der Sprache. Ein kleiner Junge sagte einer Bekannten: „Ich wünsche mir zu Weihnachten einen Trecker und einen Polen dazu!“

Jesus nimmt die Menschen alle gleich wichtig: Kinder Gottes, Würdenträger! Die Ausbeutung von Menschen aber, Sklaverei, „funktioniert“ bis heute immer da, wo Menschen als Nummer geführt werden, wo sie kein Gesicht haben, keinen Namen und keine Geschichte.

Osteuropäischen Werkvertragsarbeitern geht es vielfach hier bei uns so – sie sind uns nicht als Persönlichkeiten bekannt, eine große anonyme Gruppe, eine „Geisterarmee“: Arbeitskräfte ohne Gesicht, ohne Namen und Geschichte. So werden sie ohne schlechtes Gewissen ausgebeutet, betrogen und gedemütigt.

 

Sozial ist, was gute Arbeit schafft

 

Von Max Frisch stammt das Wort: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Menschen, die heute trotz schwerster Arbeit arm sind und arm bleiben, sie sind die Altersarmen von morgen. Und immer werden sie Sozialleistungen brauchen. Das bedeutet: Die Gesellschaft ermöglicht prekäre Beschäftigung durch Sozialtransfers und subventioniert damit indirekt und ohne Grund verantwortungslose Geschäftsmodelle.

Der Autor
Prälat Peter KossenPrälat Peter Kossen ist Leitender Pfarrer der Kirchengemeinde „Seliger Niels Stensen“ in Lengerich. | Foto: Privat.

Menschenwürdig leben können, muss die Ermöglichung guter Arbeit sein, nicht ihr Lohn! „Krebsgeschwür“ scheint mir angemessen als Umschreibung dessen, was in der Wirtschaft um sich greift und die Gesellschaft und ihre Sozialsysteme zersetzt und zerstört! Sozial sei, was Arbeit schafft, so konnte man es im Wahlkampf hören. Das stimmt so nicht. Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft, Arbeit, die den Menschen groß und nicht klein macht!

Die Bundestagswahl an diesem Sonntag ist die Möglichkeit und die Verantwortung, solche stark zu machen, die „Solidarität“ auf ihre Fahnen geschrieben haben. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg fordert uns zur Solidarität mit den Schwächeren heraus. Nur in dieser Haltung kann der Friede als Frucht der Gerechtigkeit erarbeitet werden.

Sämtliche Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 25. Sonntag im Jahreskreis (A) finden Sie hier.

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