Ralph Greis fragt: Muss Gott sich an Regeln halten?

Auslegung der Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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Die Menschen streben immer wieder nach mehr und murren. Die Gier nach Macht und Besitz kommt auch unter den Israeliten auf. Doch können solche Menschen in das Reich Gottes eingehen? Diese Frage stellt sich Pater Ralph Greis und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Der Exodus aus Ägypten und die 40 Jahre der Wüstenwanderung machen Israel zum Volk Gottes. Es ist die Geschichte der göttlichen Gegenwart in Feuer- und Wolkensäule, von der wunderbaren Rettung am Schilfmeer, von Wasser aus dem Felsen und Manna, vom Bundesschluss am Berg Sinai und vom Zeltheiligtum, in dem der Herr mitten unter seinem Volk wohnt.

Ein deutlicher Kontrapunkt tritt in dieser Geschichte jedoch immer wieder in den Vordergrund: Das Murren der Menschen. Allen Wundern und Gaben zum Trotz ist es ihnen nie genug. Gibt es Manna, wollen sie lieber Fleisch, bleibt Mose zu lange auf dem Sinai, tanzen sie um das goldene Kalb.

Mose steht dazwischen. Er bekommt den Zorn Gottes ebenso ab wie das Maulen der Menschen, hat ihnen Strafe und Heilung vom Herrn anzusagen und tritt zugleich für die, die ihm das Leben schwer machen, vor Gott ein.

 

Gott hält sich nicht an Listen

 

Die Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

In der ersten Lesung dieses Sonntags gewährt Gott dem Mose Entlastung: 70 von den Ältesten werden mit dem Geist ausgestattet, um Mose zu unterstützen. Doch wieder ist es manchen nicht recht, wenn der Herr auch jenen beiden den Geist gibt, die zwar auf der Liste dafür stehen, aber – aus welchem Grund auch immer – nicht an der Zeremonie am Zeltheiligtum teilgenommen haben. Darf der Geist des Herrn wehen, wo er will, oder nur dort, wo es den Regeln entspricht? Wen soll Mose zur Ordnung rufen – Eldad und Medad oder gar den Herrn selbst? Mose aber weist den Josua zurecht, seinen Adlatus und Nachfolger, der sich hier ein Murren der besonderen Art leistet.

Die Szene im Evangelium ist ähnlich, dort beschwert sich Johannes, der Jesus besonders nahesteht, über einen fremden Wundertäter. Dieser wirkt zwar im Namen Jesu, aber er gehört nicht förmlich dazu. Gerade weil er aber mit Erfolg Dämonen austreibt – woran die Jünger gerade eben, im selben Kapitel des Markusevangeliums gescheitert sind –, macht er ihnen das Monopol auf „ihren“ Jesus streitig. Das darf der doch nicht! Wieder steht die Frage im Hintergrund, wer sich nicht an die Regeln hält: Der Mensch oder Gott? An welche Regeln eigentlich und wer setzt sie fest?

 

Neidbefreite Geistesgabe?

 

Mose will dem Wirken Gottes keine Grenzen gesetzt sehen: „Wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“ Genau das ist uns in Taufe und Firmung geschenkt worden – aber hat es uns vom Neid befreit, von der Sorge, dass andere mehr davon bekommen haben könnten? Dass sie anders sind oder Dinge anders machen, als wir das gern sähen? Richtet sich unser Murren gegen die Mitmenschen oder gegen Gott?

„Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“, sagt Jesus. Sein Blick ist ebenso weit wie der des Mose. Wie benutzen denn wir diesen Satz? In dieser weiten Form oder in der gebräuchlicheren engen Umkehrung: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich“ (Mt 12,30)?

 

Nicht zum Bösen verleiten lassen

 

Der Autor
Ralph Greis ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: privat
Ralph Greis ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: privat

Jesus warnt seine Jünger vielmehr, sich von der Gier nach Macht und Besitz nicht zum Bösen verleiten zu lassen. Auch die Forderung, dass andere sich an die „Regeln“ halten müssen, kann ein Ausdruck der Gier nach Geltung sein. Und noch wichtiger: Niemand von denen, die die Nähe Gottes suchen – mögen die „Kleinen“ nun Kinder oder einfach Menschen sein, die sich nicht wehren können – darf durch die Gier derer, die doch dazugehören wollen, Schaden leiden. Schon in die erste christliche Gemeinde hinein erhebt der Jakobusbrief seine drastische Klage – die zweite Lesung –, traurigerweise ist der theoretische Bedarf an Mühlsteinen heute nicht geringer geworden.

Die Regel des heiligen Benedikt warnt mehrfach vor dem Murren, vor der Unzufriedenheit mit dem Eigenen und dem Neid auf die Anderen. Das Murren kann eine ganze Gemeinschaft zersetzen, im Kloster wie im Großen von Kirche und Gesellschaft.

 

Gier und Ego zügeln

 

Es kann den Blick auf Gott verstellen, wenn es seine Großzügigkeit mit dem kleinen Maß der eigenen Missgunst zuteilen will. Niemand von den Israeliten, die aus Ägypten ausgezogen sind, lässt der Herr wegen ihres Murrens das verheißene Land betreten – erst die folgende Generation (Num 14,26–31).

Diejenigen, die ihr noch so christliches Ego und ihre Gier nicht zügeln, die gar anderen Leid zufügen, werden das Reich Gottes nicht erreichen. Haben sie die Hölle nicht schon hier, in sich selbst?

Umgekehrt: Lässt nicht die Großzügigkeit Gottes, wenn wir sie nur annehmen, schon jetzt sein Reich erfahrbar werden? Wenn nur der Herr seinen Geist auf uns alle legte!

Sämtliche Texte der Lesungen vom 26. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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