Pater Daniel Hörnemann, ein Kamel im Nadelöhr und ein trauriger Jesus

Auslegung der Lesungen vom 28. Sonntag im Jahreskreis (B)

Das Evangelium dieses Sonntags hat kein Happy End. Immerhin will einer Jesus nachfolgen - aber dann wird doch nichts draus, weil er zu sehr an seinem Reichtum hängt. Selbst den Jüngern jagt das einen Schrecken ein. Pater Daniel erklärt, worum es Jesus geht.

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Das Evangelium dieses Sonntags hat kein Happy End. Immerhin will einer Jesus nachfolgen - aber dann wird doch nichts draus, weil er zu sehr an seinem Reichtum hängt. Selbst den Jüngern jagt das einen Schrecken ein. Pater Daniel erklärt, worum es Jesus geht.

Da steht ein Kamel vor einer großen Nähnadel, es trägt einen Faden um den Hals, der auch schon durch das schmale Nadelöhr gefädelt ist. Es ist ratlos und skeptisch. Durch diesen engen Durchlass soll es hindurch? Nie und nimmer, das ist viel zu eng. Das ist unmöglich zu bewerkstelligen! Und doch ergeht die ermutigende, auffordernde Ermunterung: „Du schaffst das!“

Das Evangelium vom 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören und Sehen auf unserem Youtube-Kanal.

Der Aufruf der Karikatur klingt anders als das viel geschmähte Wort der Bundeskanzlerin: „Wir schaffen das!“ Das klingt vielmehr nach: „Trau dich, trau dir etwas zu, auch wenn erst einmal alles dagegen spricht.“ Hier stellt sich die Herausforderung „großes Tier und kleiner Durchlass“, „großes Problem und kaum Aussicht auf Lösung“. Wie lässt sich das nur bewältigen?

 

Antityp eines guten Beters

 

Für den jungen Reichen im Evangelium gibt es nur den Weheruf, kein Happy End. Der Mann entfernt sich unmutig und betrübt. Er gibt vorzeitig auf. Er wird als der Antityp des Beters im Buch der Weisheit geschildert, dem nichts so wertvoll war wie der Erwerb der wahren Lebenskunst. Dabei hatte alles so gut begonnen: Er eilt auf Jesus zu, stellt ihm die Frage seines Lebens. Jesus blickt ihn intensiv und voll Zuneigung an. Er hätte doch einfach zu ihm sagen können: „Wunderbar, endlich einer, der alle diese Gebote hält. Ein Mann mit Modellcharakter, nehmt euch ein Beispiel an ihm!“

Doch das wäre ein langweiliger Schluss für eine Episode, die eine bleibende Herausforderung darstellt. Überraschend ist die Aufforderung zur Preisgabe irdischen Besitzes. Zunächst erscheint der Mann im besten Licht, ein echtes Vorbild, dann aber macht ihn seine Reaktion zum traurigen Negativ-Beispiel.

 

Dienst nach Vorschrift?

 

In seiner Antwort will Jesus dem Mann deutlich machen, dass es zu wenig ist, nur das Verbotene zu lassen, auf Regeln und Vorschriften fixiert zu sein. Doch Jesus sah den Mann an und gewann ihn lieb. Aus einer Schüler-Lehrer-Disputation wird eine echte Begegnung. Auf dieser persönlichen Ebene macht er ihm deutlich: „Dir fehlt noch das Wichtigste!“ Religiosität ist mehr als nur „Dienst nach Vorschrift“, sondern frei gelebte Beziehung.

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSBPater Daniel Hörnemann OSB ist Subprior der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben"

Auf die Frage, was er tun muss, um das ewige Leben zu gewinnen, bietet Jesus ihm eine Perspektive: Versuche dich frei zu machen, wirklich zu leben, so kannst du mein Jünger sein. Mach dich von dem unabhängig, was du besitzt beziehungsweise was dich besitzt! Es ist das überraschende Gegenteil unserer Annahme, Eigentum und Geld brächten Freiheit: Man kann reisen, wohin man will, kann kaufen, was man will. Nein, sagt Jesus, all dein Besitz macht nicht frei, er verhindert geradezu deine Freiheit! Räum alles weg, was zwischen dir und deinem Gott steht. Als das lebendige Wort Gottes (zweite Lesung) kennt er die Regungen und Gedanken des menschlichen Herzens genau.

 

Jesus respektiert die Entscheidung

 

Hier ist der „point of no return“ erreicht, der Knackpunkt der Geschichte. Der Mann sieht sich überfordert und kann nur noch fortgehen. Jesus läuft ihm nicht hinterher. Er hat ihm klar geantwortet, nun ist der Mann am Zuge. Bei aller Sympathie lässt Jesus ihn gehen und respektiert traurig seine Entscheidung.

Nun schaut er sich bei seinen Jüngern um. Er spricht diese erwachsenen Männer mit dem nur hier im Evangelium gebrauchten Wort „Kinder“ an. Die Jünger sind so erschrocken, dass sie das gar nicht merken. Jesus bleibt das natürlich nicht verborgen. Man könnte vielleicht erwarten, dass er nun so etwas sagt wie: „Keine Angst, Jungs, ihr bemüht euch doch! Als meine Jünger habt ihr alles verlassen und seid mir gefolgt, also werdet ihr auch das Reich Gottes sehen!“ Aber er sagt etwas ganz anderes. „Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes einzugehen.“

 

Extreme Übertreibung

 

Dann greift er zu dem seltsamen Bildwort eines Kamels, das durch das Auge einer Nadel geht. Jesus nimmt eine Hyperbel, eine extreme Übertreibung, und stellt damit eine absolute Unmöglichkeit dar. Seine absurde Bildsprache macht humorvoll und zugleich radikal deutlich: Es geht um das Zentrale in deinem Leben. Was ist wichtiger: dein Reichtum oder deine Beziehung zu Gott und den Mitmenschen?

Mit der liebevollen Anrede „Kinder“ erinnert Jesus seine Jünger und mit ihnen auch uns an die Zeit, als sie noch nicht bedacht waren auf Besitz, Wissen, Position, Vermögen, Sicherheit, auf all das, was ein Mensch sammeln mag. Bleibt nicht im Vorläufigen stecken! Es muss mehr als alles das geben. Wir suchen die Erfüllung unserer tiefsten Sehnsucht und schaffen es als beschränkte Menschen nicht, sie zu finden. Vielleicht sagt uns genau da dieser Jesus mit einem wissenden Lächeln: „Nichts ist unmöglich – für meinen und euren Gott!“

Sämtliche Texte der Lesungen vom 28. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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