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Ist der Glaube ein Wettbewerb? Wer ist der Frömmste? Wer der Selbstloseste? Nein, die Liebe und Barmherzigkeit Gottes müssen wir uns nicht verdienen, erklärt Richard Schu-Schätter und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.
„Dabei sein ist alles.“ So wird oft der olympische Gedanke beschrieben, bei vielen Sportveranstaltungen hört man diesen Satz, mal als Trost für die Verlierer, mal als Erinnerung, dass der sportliche Wettbewerb der Verständigung dienen soll. Doch wenn man genau hinsieht, ist den meisten Menschen Dabeisein doch nicht genug. Es geht auch ums Gewinnen, um die Goldmedaille oder wenigstens einen guten Platz in der Tabelle.
Zutiefst menschlich ist es, einen Lohn für die eigenen Anstrengungen zu erhoffen. Bei uns in der Kirche ist es ja nicht anders, obwohl wir so gerne vom Dienen und von Dienst, von Selbstlosigkeit, Demut und Nächstenliebe sprechen.
Aus dem Glauben einen Wettbewerb machen?
Die Lesungen vom 29. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B zum Hören finden Sie hier.
Selbst aus dem Glauben kann man einen Wettbewerb machen. Wer ist der Frömmste, die Gescheiteste, der Selbstloseste? Der oder die haben ja dann wohl auch das größte Ansehen verdient. Das betrifft alle Ebenen unserer Kirche, und ich finde es sehr entlastend und sympathisch, dass auch Jakobus und Johannes, in diese Falle tappen.
Nur zu gut kenne ich den Gedanken, dass ich mir doch dies oder jenes durch das, was ich für andere tue, verdient habe. Die Wahrheit ist: Nichts habe ich verdient. „Wer unter euch der Erste sein will, der sei der Sklave aller.“ Ich stell ihn mir vor, den Sklaven: Verachtet, mit Füßen getreten, rechtlos. Ohne Anspruch auf irgendetwas. Andere sind es, die einen Anspruch haben, dass er tut, was sie ihm sagen.
Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes ist da
Nein, so stelle ich mir dann doch lieber nicht die eigene christliche Existenz vor. Wo bleibt da die Würde, wo die Freiheit, wo die Glückseligkeit? Ganz einfach: Sie ist schon da! Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes braucht man sich nicht zu verdienen. Ja, man kann es gar nicht! Sie ist geschenkt von Anfang an. Das zu begreifen, fällt uns Menschen aber schwer.
Lieber rackern wir uns ab und hoffen auf einen guten Lohn. Wir glauben, dass Dienst und Verdienst, in einem direkten kausalen Zusammenhang stehen müssen. In der Bibelwissenschaft nennt man das den Tun-Ergehen-Zusammenhang. Er taucht in vielen alttestamentlichen Schriften auf.
Ist das Elend selbstgemacht?
Aber ganz ehrlich: Auch im dritten Jahrtausend nach Christus sind wir noch ganz gut darin, ihn für bare Münze zu halten: Wenn ich mich genügend anstrenge und ein christliches Leben führe, wird es mir gut gehen. Anders gewendet: Jemand, dem es schlecht geht, der wird wohl ein Sünder und selbst schuld daran sein.
Wenn Sie ehrlich und kritisch auf Ihre eigene Gedankenwelt schauen: Haben Sie nicht auch schon mal bei einem Menschen im Elend, über dessen Schicksal Sie nichts wussten, gedacht, dass er selbst schuld ist, oder bei einem anderen einen glücklichen Umstand als verdient angesehen?
Gott ist im Elend nahe