André Pollmann: Beten Sie ruhig unverschämt!

Auslegung der Lesungen vom 29. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C

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Welche Kraft hat das Gebet? Dieser Frage geht Pfarrer André Pollmann nach und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Kann Beten helfen? Das Buch Exodus erzählt es so: Auf einem Berg ereignet sich ein Drama, das sich im Leben eines jeden Menschen abspielen kann, wenn Zweifel und die dunkle Seite unserer Seele die Oberhand zu gewinnen drohen. Während die Schlacht im Tal hin und her wogt, die über Leben oder Vernichtung der Israeliten entscheidet, betet ihr Führer Mose auf dem Gipfel mit erhobenen Armen zu Gott. Aber selbst er ist nur ein schwacher Mensch, dessen Hände sinken. Das intensive Gebet ist kräftezehrend, seine Gefährten unterstützen ihn.

Mose steht letztlich als lebendiges Symbol dafür, dass nicht die menschliche Bemühung, sondern die göttliche Kraft ausschlaggebend wirkt. Das gilt wohl für jede Art von „Amalek“, das heißt für den Umgang mit den Schattenseiten des Lebens. Anscheinend steht in jeder Generation eine solche feindliche, Verderben bringende Macht auf. „Amalek“ wurde zum Prototyp jeglicher Bedrohung, zur Chiffre für Gewalt, Verfolgung, Unterdrückung und Ermordung. Es ist nur in der beharrlichen Ausrichtung auf Gott zu besiegen. 

Große Ermutigung zum Beten

Die Lesungen vom 29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Ausdauer ist auch ein Schlüsselwort für das Evangelium. Was für Typen werden uns da vor Augen gestellt! Ein skrupelloser, unnahbarer, rücksichtsloser Richter und eine hartnäckige, nervende Witwe sind die seltsamen, überzeichneten Hauptfiguren eines Gleichnisses Jesu. Sie sollen verdeutlichen: Betet allezeit und lasst darin nicht nach! Bleibt dran, auch wenn Gott nicht sofort zu antworten scheint. Von Albert Schweitzer stammt der Satz: „Gebete verändern nicht die Welt, aber sie verändern Menschen und Menschen verändern die Welt.“ Beten heißt nicht, fromme Sätze abzuspulen, sondern sein Leben mit allen Facetten vor Gott zur Sprache zu bringen. Auch eindringlich oder gar zudringlich.

Das Gleichnis im Evangelium dieses Sonntags ist eine große Ermutigung zum Beten, eine Ermutigung, es nicht aufzugeben, eine Ermutigung, keine Angst vor Gott zu haben, sondern ihm viel zuzutrauen. Wenn schon unter Menschen voller Herzenshärte (ungerechter Richter) und unverschämter Zudringlichkeit (Witwe) am Ende doch eingelenkt wird, wie sollte dann Gott, der Gerechte und Barmherzige, nicht reagieren auf das Gebet von uns Menschen, das durchaus „unverschämt“ sein darf, Gott etwas zumutet und ihm keine Ruhe lässt? 

Gott ist jederzeit erreichbar

Das „Bei Tag und bei Nacht“ ist nicht sinnlos. Die Kirche kennt dieses unablässige Beten im Stundengebet und in den Klöstern der Welt. Aber auch in den unzähligen Gebeten, die zur selben Zeit von unterschiedlichsten Menschen gesprochen werden und ein großes Netzwerk des Vertrauens bilden.

Gott ist jederzeit und in jeder Situation erreichbar. Aber die Weise seiner Erhörung bleibt natürlich ihm überlassen. Sie geschieht nicht wie bei einem Automaten, wo das Eingegebene als Gegenleistung die gewünschte Ware beziehungsweise Wirkung hervorbringt. Gottes Wege sind anders als unsere Wege. Gottes Gedanken sind anders als unsere Gedanken, und jedes Gebet steht – wie im Vater unser – unter der Grundvoraussetzung: nicht mein Wille geschehe, sondern dein Wille.

Gebet verändert uns selbst

Der Autor
Andre Pollmann
André Pollmann ist Pfarrer in St. Johannes Oelde. | Foto: privat

Oft verändert sich die Lage, um deren Veränderung wir beten, unmittelbar wenig oder gar nicht. Aber das Gebet verändert uns selbst, weil wir auch das Sinnloseste und Unbegreiflichste noch vor einen Gott bringen dürfen, der eben nicht seine Ruhe haben will.

So schwer es auch sein mag, zu begreifen, was Gott für richtig hält: auch er leidet an der uns geschenkten Freiheit. Und er erspart sich in seinem Sohn das Leiden nicht, um den leidenden Menschen auch dort nahe zu sein.

Es braucht den Glauben

Das unverzügliche Recht, das Gott allen verschafft, die ihn eindringlich und vertrauensvoll bitten, zeigt sich oft nicht als Erfüllung eines menschlichen Wunsches, sondern als Recht in den Augen eines Gottes, der letztlich am besten weiß, was für den Menschen gut ist.

Dazu braucht es allerdings einen Glauben, der Gott wirklich Gott sein lässt und ihn nicht auf menschliches Denken reduziert. Angesichts einer drastisch schwindenden Religiosität ist die Frage Jesu nur allzu verständlich und höchst aktuell: „Wird der Menschensohn bei seinem Wiederkommen auf Erden noch Glauben vorfinden?“ Jesu Frage ist kein Abschluss der Geschichte, sondern eine offene Herausforderung. Mögen wir zu denen gehören, bei denen ein solcher Glaube dann noch anzutreffen ist.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 29. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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