Pater Daniel Hörnemann aus Gerleve über viele Gesetze und zwei Gebote

Auslegung der Lesungen vom 30. Sonntag im Jahreskreis (A)

Wenn doch alles schwarz und weiß in der Bibel steht - das ist richtig, das ist falsch -, dann dürfte doch alles klar sein. Ist es aber nicht, sagt Jesus. Und Pater Daniel Hörnemann von der Abtei Gerleve erklärt, worum es im Leben als Christ wirklich geht.

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Wenn doch alles schwarz und weiß klar in der Bibel steht - das ist richtig, das ist falsch -, dann dürfte doch alles klar sein. Ist es aber nicht, sagt Jesus. Und Pater Daniel Hörnemann von der Abtei Gerleve erklärt, worum es im Leben als Christ wirklich geht.

248 plus 365 ergibt 613. Wass soll diese merkwürdige Rechenbeispiel? Die 365 erschließt sich noch am ehesten: So viele Tage hat das Jahr. Nach alter Auffassung hat der Mensch 248 Glieder in seinem Leib. Genauso viele Gebote (365) und Verbote (248) zählt das jüdische Gesetz. Summa summarum eine erdrückende Menge von Bestimmungen, die das Glaubensleben im Grunde zu einer Sache von Experten machen.

Das Evangelium vom 30. Sonntag im Jahreskreis (A) zum Sehen und Hören auf unesrem Youtube-Kanal.

Jesus hingegen fasst das Ganze der 613 Weisungen im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen. Er befreit die Menschen von einer drückenden Last, legt ihnen ein sanftes, tragbares Joch auf, das nicht wund scheuert oder niederdrückt. Er macht deutlich, dass die Erfüllung des Gotteswillens keine totale Überforderung des Menschen ist, auch keine reine Sache der Theologen.

In Jesu Worten liegt eine wunderbare Freiheit, er lehrte die Menschen den freien Umgang mit dem jüdischen Gesetz. Trotz aller Bindung an die Tora behält er die Menschen im Auge, vor allem die Kleinen und Schwachen. Wenn er den Randexistenzen neu Beachtung schenkte und ihnen ihre Würde zurückgab, ihnen einen liebenden, nicht ausgrenzenden Gott verkündete, dann wollte er damit eine tiefe und grundlegende Veränderung bewirken.

 

Gott rettet - und fordert

 

Jesus steht dafür ein, dass Gottes Gebote nicht Lasten sein wollen, die die Menschen niederdrücken, sondern Weisungen im Sinn von Orientierungshilfen und Wegweisern. Bereits die Zehn Gebote waren als Einweisung in die Freiheit zu verstehen. Ihr theologisches Programm lautet: Israels Gott ist ein Gott, der den Menschen in all seinen Lebensbereichen anspricht und zur Entscheidung und Verantwortung zieht.

Die Überschrift begründet und motiviert alle folgenden Forderungen: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Knechtschaft in die Freiheit hinausgeführt hat.“ Die Weisungen sind nicht davon zu lösen. Der rettende Gott, der einen Heils-Vorschuss gewährt, ist auch ein fordernder Gott. Die Zehn Gebote bewegen dazu, nach dem jeweilig Guten und Richtigen zu suchen und zu fragen, was vor Gott bestehen kann. Sie dienen vor allem zum Schutz der Schwachen.

Dem Grundgesetz Israels im Dekalog (die Zehn Gebote) folgen die Ausführungen und Konkretisierungen im so genannten „Bundesbuch“ (Ex 21-23). Darin geht es um den rechten Gottesdienst und das rechte Sozialverhalten. Sie gehören fundamental zu einer verbindlichen Lebensgemeinschaft Israels mit seinem Gott.

 

Gegen alle Missstände

 

Es geht um soziale Gerechtigkeit: Die Armen sollen nicht noch ärmer werden als sie bereits sind. Was sie zum Leben brauchen, das darf ihnen nicht weggenommen werden. Die Schutzregeln (Ex 22,20-26) gegen die Unterdrückung und Ausbeutung von Schwachen wollen Missstände verhindern und verbieten. Sie haben bis heute nichts an Aktualität verloren.

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSBPater Daniel Hörnemann OSB ist Subprior der Benediktinerabtei Gerleve und Theologischer Berater von „Kirche+Leben“.

Die schwachen Glieder der Gesellschaft werden vor jeder Ausnutzung geschützt, die der Menschlichkeit widerspricht. Bedeutsam ist die Begründung mit dem Hinweis, dass Israel selbst als unterdrückter und ausgebeuteter Fremdling in Ägypten gelebt hat. Die Erinnerung an die Unterdrückungszeit soll die Israeliten sensibilisieren für Missstände und zugleich an die rechte Einhaltung der Menschlichkeit appellieren.

Israel weiß aus eigener Erfahrung, wie es Unterdrückten zumute ist, und muss dieses Wissen bewahren, denn Gott steht immer auf der Seite der Schwachen und hört ihre Klagen. Nach seiner eigenen Befreiung darf Israel nicht selbst wieder Unfreiheit und Ausbeutung bewirken oder auch nur dulden. Zugezogene werden vor Ausnutzung geschützt. Witwen und Waisen fehlt der Schutz des Mannes beziehungsweise des Vaters, sie sind daher leicht der Willkür anderer ausgeliefert.

 

„Ein Gönnender bin ich“

 

Gott aber steht auf der Seite der Benachteiligten und besonders Schutzbedürftigen. Er hört ihre Hilferufe und zieht unbarmherzige Peiniger zur Rechenschaft. Er zeigt nicht nur Mitleid, sondern Zuwendung und Fürsorge für die Menschen: „Ich höre – denn ich bin gnädig“ (Ex 22,26) - „ein Gönnender bin ich“, übersetzt Martin Buber. Genauso sollen wir Menschen, gerade als Christen, handeln. Die liebevolle Hinwendung Gottes bildet den Maßstab für die Menschenfreundlichkeit unter Menschen.

Jesus liegt ganz auf der Linie des Ersten Testaments. Als Pharisäer und Schriftgelehrte ihn wieder einmal vorführen wollten, nutzte er die Gelegenheit klarzustellen, was für ihn in den Geboten zentral ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen. Und du sollst deinen Nächsten lieben wie die selbst.“ Dieses Doppelgebot war keine Erfindung Jesu, die Weisung der Gottes- und Nächstenliebe findet sich bereits im Ersten Testament in Dtn 6,5 und Lev 19,18. Sie sind die Grundpfeiler der gesamten Heiligen Schrift und des christlichen Lebens.

Alle Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 30. Sonntag im Jahreskreis (A) finden Sie hier.

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