Pater Christian Brüning über eine ungehörige Gottes-Anrede

Auslegung der Lesungen vom 30. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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Was bedeutet es, wenn der blinde Bartimäus und Maria von Magdala Jesus Christus mit Rabbuni anreden? Auf jeden Fall schwingt dabei etwas Liebesvolles mit, sagt Pater Christian Brüning und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Die Anrede Rabbuni begegnet im Neuen Testament einmal aus dem Mund des blinden Bartimäus, zum andern aus dem Mund von Maria von Magdala. Es ist eine eigenwillige Anrede. Nach vielen Kommentaren zur Bibel handelt es sich um die ehrfurchtsvolle Steigerung der schlichteren Anrede „Rabbi“. Diese wird in der Einheitsübersetzung durchweg mit „Herr“ wiedergegeben. Doch ist das nicht korrekt.

Die dem Wort „Rabbi“ zugrunde liegende Wortwurzel ist das Wort „Rab“, das im Hebräischen jedwede quantitative oder qualitative Größe beschreiben kann. Es begegnet zum Beispiel in unserer Sprache als Lehnwort „Rabatt“, wie in „Mengenrabatt“.

 

Etwas Liebevolles schwingt mit

 

Die Lesungen vom 30. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) zum Hören finden Sie hier.

An dieses ist das besitzanzeigende Fürwort „i“ angefügt, „mein“. Das wird leider in den allgemeinen Übersetzungen unterschlagen. Wenn die Jünger Jesus Christus als „Rabbi“ anreden, dann heißt das genau genommen nicht „Herr“, sondern „mein Herr“.

Wenn man hinzunimmt, dass das Wort „Rab“ eine Größe beschreibt, etwa an Wissen und Weisheit, wird deutlich, dass man „Rabbi“ keineswegs mit „Herr“ wiedergeben sollte, sondern etwa mit „mein Großer“. Es schwingt darin die Anerkennung der Größe des Angeredeten und der Stolz über diese Größe mit, aber auch etwas Liebkosendes, Liebevolles.

 

Respektvolle Anrede Jesu

 

Was unsere deutsche Sprache anbelangt, mag man sich vielleicht an die Worte einer Mutter erinnern, die ihre drei Kinder vorstellt und über das älteste sagt: „Das ist meine Große“ oder „das ist mein Großer“. Gegenüber der Anrede „Rabbi“ ist die Anrede Jesu Christi mit „Rabbuni“ keineswegs nur eine ehrfurchtsvolle Steigerung. Es ist eine Anrede, die es eigentlich nicht geben dürfte. Es ist die Sprache der Liebe. Denn in „Rabbuni“ steckt die Silbe „un“, die eine Verkleinerung bedeutet. Im Deutschen haben wir in ähnlicher Weise Silben, die die Verkleinerung ausdrücken, etwa Kind-chen oder Kind-ele oder Brüder-lein.

Die respektvolle Anrede Jesu mit „Rab“ = „Großer“ wird also kombiniert mit der Verkleinerungsform „-un“ = „-chen“ und dem besitzanzeigenden Fürwort „i“ = „mein“. Was sich im Deutschen daraus ergibt, wäre eigentlich „mein Großerchen“.

Die Anrede „Rabbuni“ ist im rabbinischen Schrifttum nicht bezeugt, wohl aber in der Volkssprache und bedeutet etwa „mein lieber Rabbi“; „ich würde es am liebsten, ins Jiddische übersetzend, mit ‚mein Rebbele‘ wiedergeben“, schreibt Schalom Ben-Chorin dazu.

 

Ausdruck größter Liebe

 

Der Autor
Pater Christian Brüning OSB
Pater Christian Brüning OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: Abtei Gerleve

Bartimäus und Maria von Magdala sprechen unseren Herrn Jesus Chris­tus mit diesem Ausdruck größter Liebe an. Der eine wurde von seiner physischen Blindheit geheilt. Maria von Magdala von der Blindheit in ihrer Trauer. Bei beiden drückt sich das Erkennen des Herrn in dieser Anrede aus.

Neben der Anrede „Rabbuni“ gibt es im Judentum auch die Anrede „Ribbono“. Es findet eine Lautverschiebung statt, da nicht das besitzanzeigende Fürwort „mein“, sondern „unser“ angefügt wird, und aus „Rabbuni“ wird die Anrede „Ribbono“, „unser Großerchen“. Sie wurde vor allem als Anrede an Gott gebraucht, etwa in der Gebetsansprache: „Ribbono, Herr der Welt“ (Ribbono schäl o lam) oder besser: „unser Herr der Welt“. Markantes Beispiel ist das Gebet des Weisen Honi, des Kreiszeichners, das er, wie die Mischna erzählt, in einer Hungersnot sprach: Er zeichnete einen Kreis, stellte sich in diesen und sprach vor ihm: „Herr der Welt, deine Kinder haben sich an mich gewandt, weil ich wie ein Häusling (Hausgenosse) vor dir bin; ich schwöre bei deinem heiligen Namen, dass ich mich von hier nicht rühre, bis du dich deiner Kinder erbarmt hast.“

 

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Es ist nicht ohne Brisanz, dass bei dieser Verwandtschaft der Anreden Bartimäus und Maria von Magdala Jesus Christus „Rabbuni“ nennen. Sie widmen damit quasi ein im Judentum auf Gott bezogenes Wort auf ihn um.

Man mag in der Kombination der Lesungstexte dieses Sonntags einen roten Faden erkennen. In der Lesung aus dem Jeremiabuch wird ein messianischer Text vorgetragen: Gott verspricht, sein Volk aus der Verbannung heimzuführen, „darunter Blinde und Lahme“. Die neutestamentliche Lesung spricht von Christus, dem ewigen Hohenpriester, der fähig ist, für die Blinden, Unwissenden und Irrenden Verständnis aufzubringen. Das Evangelium schildert schließlich, wie Bartimäus – eigentlich schon bevor er ausdrücklich von seiner Blindheit geheilt ist – mit der Anrede „Rabbuni“ auf Jesus zustürmen kann.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 30. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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