Thomas Schüller über Jesu Liebe als Zumutung

Auslegung der Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis (C)

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Auch Sünder wie Zachäus sind von Gott geliebt. Jesu Botschaft ist so einfach wie anspruchsvoll: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, ausgestattet mit unbedingter Würde, schreibt Thomas Schüller, Theologe aus Münster.

Auch Sünder wie Zachäus sind von Gott geliebt. Jesu Botschaft ist so einfach wie anspruchsvoll: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, ausgestattet mit unbedingter Würde, schreibt Thomas Schüller, Theologe aus Münster.

Zachäus ist eine einzige Provokation: Er treibt die Steuern für die verhasste Besatzungsmacht ein und steckt sich genug davon in die eigenen Taschen. Doch was für eine armselige Kreatur: so klein, reich und einsam wie verachtet und gefürchtet. Möchten Sie mit so einem Typ etwas zu tun haben? Wohl kaum, und wie schnell befeuert durch die sozialen Medien werden täglich solche Menschen an den Pranger gestellt. Sie sterben den sozialen Tod.

Die Antwort Jesu ist so einfach wie genial. Er schaut diesen verachteten Menschen an, lädt sich bei ihm ein und sendet an das moralisch entrüs­tete Establishment die klare Botschaft: auch Zachäus, dieser bucklige Sünder, ist ein von Gott geliebter Mensch. Die Mahlgemeinschaft im Haus des Zachäus ist ein Zeichen der Inklusion und nicht der Exklusion dieses Mannes in die jüdische Gemeinschaft seiner Zeit.

 

Schwere Kost für religiöse Elite

 

Schwere Kost auch heute, wo religiöse Eliten schnell dabei sind, Sündern und anderen nicht ins lehramtliche Format passenden Menschen die rote Karte zu zeigen. Machen wir uns nichts vor: Es gibt auch in den Reihen der Kirche solche Menschen wie Zachäus: Missbrauchstäter, Amtsträger, die ihre geistliche Macht zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen, schwere Sünder und Sünderinnen, die der Katechismus und das kirchliche Gesetzbuch genau zu kennen meinen. Sie sind nachvollziehbar sprichwörtlich eine Zumutung, beschädigen das soziale Gefüge und das Ansehen der kirchlichen Gemeinschaft.

Die Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Das ist keine Frage. Aber Achtung: Es geht Jesus nicht um billiges Erbarmen, paternalistisches Gutsein, um das eigene Ich in all seiner Menschenfreundlichkeit besonders zu betonen. Jesu Botschaft ist so einfach wie anspruchsvoll: Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes, ausgestattet mit unbedingter Würde. So heißt es in der ers­­ten Lesung aus dem Buch der Weisheit: „Du liebst alles, was ist. Du hast mit allen Erbarmen, weil du alles vermagst, und siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie umkehren.“ Dieser vorurteilsfreie, liebende Blick Jesu auf Zachäus bringt den Steuereintreiber in Bewegung und sorgt für radikalen Wandel in seinem Leben. Er verspricht, die Hälfte seines Vermögens an die Armen zu geben, und jedem, dem er zu viel abgenommen hat, wird er das Vierfache zurückgeben.

 

Zweite Chance genutzt

 

Der Autor
Thomas SchüllerThomas Schüller ist Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster | Foto: privat

Zachäus bekommt eine zweite Chance und nutzt sie. Er gibt im Übermaß zurück, weil Jesus ihn mit unbedingter Liebe angeschaut und ihm so einen wirklichen Neuanfang geschenkt hat. Im Angesicht Gottes werden Umkehr und neues Leben in Fülle möglich. Das ist der Schlüssel der Botschaft Jesu: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.” Wer trotz aller Verstrickung in Schuld und Sünde neu anfangen darf, der ist aufgefordert, radikal sein Leben zu ändern, umzukehren aus seinen lebenszerstörenden Machenschaften.

Was für eine Zumutung, die Jesus seinen Zeitgenossen und auch uns durch sein Tun antut. War nicht schon die Geschichte vom verlorenen Sohn unverständlich genug, der alles verprasst und trotzdem von seinem Vater empfangen wird, als sei nichts geschehen? Warum soll man sich korrekt verhalten, religiöse Gebote achten, wenn am Ende vor Gott in seinem liebenden Blick alles seinen guten Ausgang nimmt? Der ältere Sohn bringt es auf den Punkt: Mein ganzes Leben schufte ich an deiner Seite, Vater, und komme meinen Pflichten nach. Und jetzt kommt der dahergelaufene Bruder, der alles durchgebracht hat, und du nimmst ihn mit offenen Armen wieder auf.

Nachvollziehbares Unverständnis hier und dort, wie bei Zachäus. Wie kann Gott solchen Menschen einen Neuanfang ermöglichen? Freuen wir uns mit Zachäus oder dem verlorenen Sohn, dass sie Gottes Erbarmen erfahren durften? Oder ertragen wir diese Zuwendung, die Jesus ihnen schenkt und so einen Neustart möglich macht, nur mit der Faust in der Tasche?

In meiner Heimatsstadt Köln gibt es das geflügelte Wort, dass man auch gönnen können muss. Zu wissen, dass auch ich jeden Tag des Erbarmens Gottes bedarf und in diesem Erbarmen lebe, ist eine gute Basis, sich über jeden Neuanfang eines Mitmenschen zu freuen. Vielleicht das stärkste Pfund unseres Glaubens: aus Gottes Erbarmen dem Bruder und der Schwester die Hand reichen, sich dem Schwachen zuwenden und ihn mit liebenden Augen anschauen.

Auf den Willen und die Tat kommt es an, zugleich auf das Gebet, dass Gott, der „Freund des Lebens“ uns unserer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und das Werk des Glaubens vollende, wie die zweite Lesung sagt. Erbarmen ist Geschenk, unverdiente Gnade und Kraft für ein Leben in Fülle. Das wünsche ich Ihnen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) finden Sie hier.

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