Schwester Katharina Kluitmann über uns Priesterinnen und Priester

Auslegung der Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

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Die Frage nach dem wichtigsten Gebot steht im Zentrum der Lesungen dieses Sonntags. Die Theologin und Psychologin Schwester Katharina Kluitmann von den Lüdinghauser Franziskanerinnen hat dazu ganz eigene, ermutigende Gedanken.

Minimalismus liegt im Trend. Die Reduzierung auf das wirklich Notwendige. Auf minimalistische Ideen kommt, wer viel hat, zu viel. Dinge haben sich angehäuft. Sie belasten, statt zum Leben zu helfen. So scheint es dem Schriftgelehrten im Evangelium zu gehen. So viele Verbote und Gebote haben sich angesammelt, seit Mose das Gesetz von Gott erhielt. Was ist das Wichtigste? Was kann weggelassen werden oder zumindest an eine zweite Stelle rücken?

Jesus muss es wissen. Anders als an vergleichbaren Stellen im Evangelium steht hier nicht, dass der Schriftgelehrte hinterhältig fragt. Er will wirklich eine Antwort und mit diesem Jesus ins Gespräch kommen. Das gelingt. Keine Kontroverse. Ein Austausch von Gedanken und Aspekten von Schriftgelehrtem zu Schriftgelehrtem. Sie loben sich gegenseitig. Sie lernen voneinander.

 

Herz und Augen öffnen

 

Unser Glaube braucht immer wieder den Austausch. Wir brauchen es, einander mitzuteilen, was uns im Glauben nährt, wie andere ihr Glaubensleben verstehen. Es tut gut, auf neue Gedanken zu kommen. Das Alte neu zu hören, kann die Augen öffnen – und das Herz.

Diese beiden Männer bleiben auf dem Boden des Alten und Bewährten. Diese Tradition kannte natürlich „Satzungen und Gebote“. Gegeben sind sie, damit das Volk im gelobten Land leben kann, so die Lesung aus dem Buch Deuteronomium. Dann wird uns das Kernstück des Gebetslebens Israels nahegebracht. Tag für Tag beten gläubige Jüdinnen und Juden es. Immer wieder erinnert das Volk Israel sich daran, dass Gott einzig ist.

 

Gotteslobe, Nächstenliebe, Selbstliebe

 

Die Liebe zu ihm zählt. Alles andere wird dem nachgeordnet. Aus der Mitte des Glaubens speist sich nämlich alles andere. Auch die Nächstenliebe, die Jesus und der Schriftgelehrte im Evangelium ganz selbstverständlich hinzunehmen. Die Nächstenliebe nimmt Maß an der Selbstliebe. Gottesliebe, Nächstenliebe, Selbstliebe. Das Eine, das sich entfaltet und einen Raum entstehen lässt. Aus zwei Punkten wird eine Linie, aus dreien ein Raum. Dreifaltiger Liebesraum, in dem Leben gelingen kann.

Das Reich Gottes, das Jesus heute dem Schriftgelehrten in Vollmacht zuspricht, ist ein ortsungebundenes „Land, in dem Milch und Honig fließen“. Dieser Liebesraum des Gottesreiches, den Jesus öffnet, braucht unseren Einsatz. Opfer aber sind deutlich nachgeordnet. Das bringt diesmal nicht Jesus an, sondern der Schriftgelehrte. Das Geschenk der Liebe übertrifft rechnendes Opfern und leistungsorientiertes Tun.

 

Das alte Priestertum ist am Ende

 

Schwester Katharina Kluitmann.
Schwester Katharina Kluitmann ist die Vorsitzende der Deutschen
Ordensobernkonferenz, Lüdinghauser Franziskanerin.

Dann erscheint selbst die schwierige Lesung aus dem Hebräerbrief in neuem Licht. Auch da, deutlich minimalistische Tendenzen: ein einziger Priester, der Hohepriester schlechthin, Jesus. Das entscheidende Opfer ist dargebracht. Die Liebe Gottes ist in Jesus bis ans Kreuz gegangen.

Damit ist das alte Priestertum am Ende. Was jetzt noch priesterlich genannt werden kann, lebt von diesem einzigen Pries­ter Jesus her. Das sind wir, eine heilige Priesterschaft (1 Petr 2,5), ein „Königreich und Priester“ (Offb 5,10). In der Taufe sind wir zu seinen Priesterinnen und Priestern gesalbt. Alle. Der eine Priester – und wir per Teilhabe im gemeinsamen Priestertum. Aus zwei Punkten wird eine Linie, aus dreien ein Raum, Jesus als Priester, wir alle im gemeinsamen Priestertum und als Drittes das sakramentale Priesteramt.

Die Lesung spricht in unser aktuelles Ringen um das sakramentale Priestertum. Ich bin überzeugt, dass es nötig ist. Wir brauchen immer wieder ein Gegenüber, den Bruder – und gern auch die Schwester – die den Glauben mit mir teilen, im gemeinsamen Pries­tertum und eben auch im geweihten. Das ist eine Zusage, die trägt, immer, unabhängig von persönlicher Heiligkeit und Kompetenz, von Tagesform und gemeinsamer Wellenlänge.

 

Der einzig wahre Priester

 

Die Lesung lässt mich fragen, ob es nicht heute bei der Frage des Priestertums eine Konzentration braucht, und zwar auf den entscheidenden und letztlich einzigen Priester, Jesus. In 2000 Jahren hat sich so manches angesammelt um das Priesteramt. Kleine Traditionen, Sitten und Gebräuche. Viele von ihnen belasten, statt den Gläubigen – und denen, die es werden möchten! – zum Leben zu helfen.

Auch hier: Reduzierung auf das wirklich Notwendige. Minimalismus liegt im Trend, nicht erst heute, sondern schon in den Lesungen dieses Sonntags. Die Liebe im Zentrum des Glaubens, Jesus im Zentrum des Pries­terlichen, damit Glaube der Lebensfülle dient. Das ist das Wesentliche.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 31. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B) finden Sie hier.

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