Zwei Frauen begegnen sich, deren Schwangerschaften Anstoß erregten

Auslegung der Lesungen vom 4. Adventssonntag / Lesejahr C

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Die eine Schwangere ist eigentlich zu jung, die andere gilt als zu alt: Pater Daniel Hörnemann lenkt in seiner Auslegung den Blick auf zwei besondere Frauen.

Das Evangelium vom 4. Advent ist der Text für den 2. Juli, an dem der liturgische Kalender „Heimsuchung Mariä“ ein eigenes Fest eingeräumt hat. Der Dichter Rainer Maria Rilke beschrieb in seinem 1912 entstandenen Zyklus „Das Marien-Leben“ die „Heimsuchung“: „Noch erging sie's leicht im Anbeginne, doch im Steigen manchmal ward sie schon ihres wunderbaren Leibes inne, – und dann stand sie, atmend, auf den hohn Judenbergen.

Aber nicht das Land, ihre Fülle war um sie gebreitet; gehend fühlte sie: man überschreitet nie die Größe, die sie jetzt empfand. Und es drängte sie, die Hand zu legen auf den andern Leib, der weiter war. Und die Frauen schwankten sich entgegen und berührten sich Gewand und Haar. Jede, voll von ihrem Heiligtume, schützte sich mit der Gevatterin. Ach der Heiland in ihr war noch Blume, doch den Täufer in dem Schooß der Muhme riss die Freude schon zum Hüpfen hin.“

Aura des Besonderen

Die Lesungen vom 4. Adventssonntag (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Mag die Sprache auch antiquiert klingen (Heimsuchung statt Begegnung, Muhme und Gevatterin als Verwandschaftstitel), sie gibt zugleich dem Geschehen die Aura des Besonderen, so schildert Rilke hier doch Maria sehr realistisch als eine irdische Frau, die Schmerzen und Freuden erfährt. An ihrem Beispiel verdeutlicht er die existenziellen Probleme eines Frauenlebens mit den Grunderfahrungen von Liebe und Sexualität, Geburt und Mutterschaft.

Er lenkt zudem den Blick auf die besondere Beziehung von Mutter und Sohn, später auf die Erfahrungen Marias von Verlust, Leiden und Tod. Die jugendliche Frau macht sich auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg ins Gebirge und gelangt an ihre körperlichen Grenzen. Aber sie bewältigt die lange und schwere Strecke.

Die Begegnung mit Elisabet

Schließlich findet die nur bei Lukas erzählte Begegnung mit der älteren Frau statt, nach der sie sich gesehnt hat. Beide Frauen verbindet das Außergewöhnliche und für so manche Zeitgenossen Anstößige ihrer Schwangerschaften.

Heimsuchung heißt die Suche nach dem Heim, nach dem Da-Sein-Dürfen und der gegenseitigen Annahme. Sie brauchen die Möglichkeit des Austauschs und den anderen Menschen, der wirklich Verständnis für ihre besondere Lage aufbringt. Verwandtschaft bedeutet hier nicht nur familiäre Zusammengehörigkeit, sondern tiefe Seelenverwandtschaft.

Der doppelte Segen über Maria

Maria wurde eigentlich für zu jung für die Mutterschaft und Elisabet für zu alt gehalten. Beide tragen jedoch die Botschaft leibhaftig in sich, dass für Gott nichts unmöglich ist. Beide leben in einer besonderen Gottesbeziehung, nur diese hat sie befähigt, ihr Geschick und den göttlichen Antrag schließlich bereitwillig anzunehmen.

Geburtsvorbereitung, Schwangerschaftsbeschwerden oder die Angst vor dem Neuen und Unbekannten sind nicht ihre Themen. Sie beginnen ihre Begegnung mit einem Gotteslob. Elisabet ruft einen doppelten Segen über Mutter und Kind aus „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“, der bleibend Eingang fand in das Gebet „Gegrüßet seist du, Maria“.

Zwei Frauen, die eingewilligt haben

Der Autor
Pater Daniel Hörnemann OSB
Pater Daniel Hörnemann OSB ist Mönch der Benediktinerabtei Gerleve bei Billerbeck und Theologischer Berater von "Kirche+Leben". | Foto: Markus Nolte

Da entsteht Bewegung. Schon vor der Geburt macht sich das Kind, der spätere Täufer Johannes, im Mutterleib deutlich bemerkbar. Das Kind in Elisabet kann nicht anders, als sich heftig strampelnd bemerkbar zu machen, so groß ist die Freude über das Treffen der Mütter und ihrer ungeborenen Kinder. Elisabet preist Maria selig, weil sie auf die Erfüllung der Gottesverheißung tief vertraut hat.

Hier treffen sich zwei Frauen, die beide an Gottes Heilsplan beteiligt sind und in diese Teilhabe eingewilligt haben. Ihre Begegnung entwickelt sich zu gegenseitiger Ermunterung und Bestärkung. Ihre Geschichte bringt genau das zum Ausdruck, worum es im Advent geht: Erwartung und Vorfreude auf die Zukunft aller Finsternis und allen Widerständen und Schatten zum Trotz.

Umgehen mit dem neuen Leben

Für Maria war ein Abwarten zu Hause nicht angesagt, sie „ging“. Das ist ein Gehen im Glauben, auf dem Weg zum Heil, das Umgehen mit dem neuen Leben. Zum Gehen gehört auch das Verweilen, so sagt Lukas zum Ende der dichten Begegnung zwischen Maria und Elisabet: „Maria blieb etwa drei Monate bei ihr; dann kehrte sie nach Hause zurück“.

Beide Frauen standen an der Wiege eines neuen und befreienden Handelns Gottes, das sich bei Maria zu Weihnachten erfüllte. Dann kommt der zur Welt, den Micha schon voraussah „Er wird der Friede sein“, von dem der Hebräerbrief weiß „Siehe, ich komme, deinen Willen, Gott zu tun.“

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Adventssonntag (Lesejahr C) finden Sie hier.

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