Pfarrer Ludger Bornemann über Bleiben und Gehen, Erinnerung und Aufbruch

Auslegung der Lesungen vom 4. Fastensonntag (C)

Wenn man lange unterwegs war, ist es besonders schön, wieder nach Hause zu kommen. Erst recht, wenn die Zeit in der Fremde schwer war. Und doch bleiben diese Erfahrungen wichtig, sagt Ludger Bornemann, Pfarrer in Münster.

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Wenn man lange unterwegs war, ist es besonders schön, wieder nach Hause zu kommen. Erst recht, wenn die Zeit in der Fremde schwer war. Und doch bleiben diese Erfahrungen wichtig, sagt Ludger Bornemann, Pfarrer in Münster.

Bleiben oder Gehen? Nicht nur Hannes Wader konnte ein Lied davon singen: „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort ...“ Das haben wir damals gerne mitgesungen, in der Zeit, als noch alle Wege offen vor uns lagen, in der Jugend, die zum Aufbruch ins Leben rief. Später dann wurde die nächste Zeile wichtiger: „Und dann denk ich, es wär' Zeit zu bleiben und nun was ganz andres zu tun.“

Jeder wird in seinem Leben davon ein Lied singen können, vom Bleiben und Gehen. Auch in unserer Glaubensbiographie finden sich Sehnsucht und Träume, manchmal gelungene Neuanfänge, manchmal erzwungene harte Wirklichkeit, weil das bisherige Leben so nicht weitergehen konnte. Und so ist der eine geblieben, der andere gegangen, vielleicht gegangen, ohne jemals irgendwo anzukommen. Immer nur Aufbruch, nie ein Ankommen, denn dazu wäre ja Verbindlichkeit nötig.

 

Aufbruch in das Leben

 

Die Lesungen des 4. Fastensonntags (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Die biblischen Begleiter in der Fastenzeit entlassen uns nicht aus dieser Spannung: Abraham, Mose mit dem Volk Israel, Elija, Jesus – so sehr der Glaube ihnen auch Bleibe und Heimat bieten mag, so fordert er doch immer wieder den Aufbruch. Der biblische Mensch bricht auf ins gelobte Land und zum Reich Gottes – aber er bleibt unterwegs mit einer Verheißung.

„Nachdem Mose, der Knecht des Herrn, gestorben war, sprach der Herr zu Josua“ (Jos 1,1) – nach den ersten fünf Büchern der Bibel, die die großen Themen von Schöpfung, Befreiung aus Ägypten, Wüstenwanderung enthalten, beginnt das nun folgende Buch Josua noch einmal wie das erste Buch der Bibel: „Dann sprach Gott.“ So wie die Schöpfung am Anfang ist auch das Ankommen im gelobten Land 40 Jahre nach dem Aufbruch aus Ägypten Gottes Werk.

 

Überlebenshilfe von Gott

 

Auch wenn von den Aufgebrochenen damals kaum noch einer lebt – in der Wüste hatte das Volk erlebt: trotz aller menschlichen Irrungen und Schwächen werden wir von Gott durch Manna und lebendiges Wasser am Leben gehalten. Jetzt, beim Ankommen, erinnern sie sich an diese Überlebenshilfe Gottes in allen Aufbrüchen.

Nun kommt eine neue Generation ins gelobte Land. Ehe sie weiterziehen, halten sie in Gilgal an, feiern das Ende der einen und den Anfang einer neuen Epoche mit einem Fest. Sie erinnern sich an das treue Handeln Gottes, aber auch an die eigene Untreue. Jetzt, beim neuen Anfang, wollen sie auch den Bund erneuern. Sie feiern das erste Pessachfest als Fest des Aufbruchs aus Ägypten. Sie feiern es mit der Ernte des Landes, in das Gott sie geführt hat. Jetzt können sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, das Manna gibt es von jetzt an nicht mehr. Jetzt beginnt das Leben im neuen Land!

Ludger BornemannLudger Bornemann ist Rektor im Canisiushaus Münster und Geistlicher Leiter im Deutschen Verein vom Heiligen Land. | Foto: Michael Bönte

Sie haben Bleibe gefunden und feiern den Aufbruch. Der Auszug aus Ägypten durch das Rote Meer und durch die Wüste ist Vergangenheit. Aber das, was Gott damit bewirken wollte und erhalten will, ist bleibende Gegenwart: Sei heute und immer wieder bereit, zu Gott aufzubrechen. Lebe den Alltag, ernähre dich von den Früchten deines Landes, von dem Ort, wo du lebst. Aber werde deinem Ursprung nicht untreu! Richte dich nicht ein, sondern richte dich aus auf das, was Gott mit dir vor hat. Die Gegenwart ist ja noch nicht alles, die Erfüllung steht noch dahin.

Bleiben und Gehen bei Josua – Gehen oder Bleiben bei den beiden Brüdern im Evangelium: Für den Weggelaufenen und für den Daheimgebliebenen, für beide in ihrem Scheitern, zeigt sich ein Vater. Ein Vater, der nicht im Zurechnen von Schuld und im Anhäufen von Vorwürfen groß ist, sondern in der Freude über den Menschen, seinen Sohn, seine Tochter.

 

Evangelium ist Befreiung

 

Der jüngere Sohn, der weggelaufene und in der Fremde heruntergekommene und verlorene Sohn, glaubte nicht nur, kein Anrecht mehr auf eine Bleibe, sondern auch sonst keine Lebensmöglichkeit mehr zu haben. Aber dann begegnet er der Freude des Vaters über seine Rückkehr, anstatt des erwarteten Berechnens und Aufrechnens all dessen, was passiert ist. Von jedem Punkt aus ist Rückkehr möglich, weil jeder Punkt des Lebens Gegenwart vor Gott ist.

Dann ist da der ältere Bruder, der zurückgebliebene: Ein Evangelium ist Befreiung auch für ihn, den daheim verlorenen Sohn: Leben ist hier und jetzt möglich. Du musst nicht der Verheißung des „Neu und unbekannt“ folgen, weglaufen in ein erträumtes Jenseits. Du musst auch nicht in der bangen Frage über das verpasste Leben versinken. Das Reich Gottes bricht hier an, wo du lebst, weil hier Gott gegenwärtig und Mensch geworden ist. Hier und jetzt kann ich bleiben, so kann es gehen. Denn nur hier kann ich leben: nicht träumerisch und nicht verbittert, sondern wahrhaftig und in der Nähe Gottes.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 4. Fastensonntag (Lesejahr C) finden Sie hier.

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