Christoph Schulte über den Dorf-Menschen Jesus

Auslegung der Lesungen vom 5. Fastensonntag (A)

Die Handlungsorte Jesu können ein Hinweis dafür sein, wo sich Christentum ereignet: für Menschen am Rand, in der Freiheit des Dorfes, findet Christoph Schulte. Denn bevor Jesus in die Stadt geht, um zu sterben, erweckt er einen Freund zum Leben - im Dorf.

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Die Handlungsorte Jesu können ein Hinweis dafür sein, wo sich Christentum ereignet: für Menschen am Rand, in der Freiheit des Dorfes, findet Christoph Schulte. Denn bevor Jesus in die Stadt geht, um zu sterben, erweckt er einen Freund zum Leben - im Dorf.

Ich komme vom Dorf: Lüttringen. Weniger als tausend Menschen lebten da in meiner Kindheit. Lüttringen liegt am Haarstrang, an der Westfälischen Bucht, grenzt ans Sauerland. Keine Großstadt in Sicht. Seit einiger Zeit ist es wieder etwas en vogue, vom Dorf zu kommen.

Das Evangelium zum Hören (Kurzfassung).

Die deutsche Pop-Rock-Band „Revolverheld“ hat mit dem Song „Lass uns gehen“ den Nerv unserer Tage getroffen: „Bist du auch so gelangweilt, genervt und gestresst von der Enge der Stadt?  ... Ich kann nicht mehr atmen, seh kaum noch den Himmel. Die Hochhäuser haben meine Seele verbaut. ... Lass uns hier raus ...“ Das Dorf ist hier keine Chiffre mehr für Beengung, Mief, Sozialkontrolle, überlebte Traditionen. Sondern für das Neue, die Ideen, die Kreativität, auch für Freiheit.

 

Ideen von den Rändern

 

Nach Jahren in mittelgroßen Städten und einer echten Millionenregion bin ich wieder im Dorf angekommen. In Havixbeck. Etwas mehr als 10.000 Menschen leben hier. Havixbeck liegt an der Ostseite der Baumberge im westlichen Münsterland. Wenn die Felder abgeerntet sind, kann man von der Bruder-Klaus-Kapelle aus Münster sehen.

Der Autor
Christoph  Schulte ist Pastoralassistent in St. Dionysius und St. Georg in Havixbeck.
Christoph Schulte ist Pastoralassistent in St. Dionysius und St. Georg in Havixbeck. | Foto: Privat


Es ist die eigene Biografie, die unseren Blick auf die Dinge mitbestimmt. Ab und an setze ich ganz bewusst die „Dorf-Brille“ auf und lese damit die Bibel. Mir fällt dann immer wieder auf, dass viele Entscheidungsmomente für das Religiöse sich ergeben, wenn die biblischen Hauptdarsteller sich im Ländlichen aufhalten: Wer die Topografie der christlichen Landkarte liest, der landet in den Anfängen unserer Religion vielfach in den kleinen Dörfern. Zwar findet mit der Kreuzigung auch die Dreh- und Angelpunktszene des Christentums im Zentrum, in Jerusalem, statt, doch die Ideen kommen oft anderswo her. Von den Rändern!

 

Jesus, der Peripherie-Prediger

 

Jesus von Nazareth war ein Peripherie-Prediger. Seine bevorzugten Orte heißen Kafarnaum statt Tiberias, Betanien statt Jerusalem. Selbst die entscheidende Szene, die nach dem Tod Jesu die Christus-Geschichte nicht zu Ende sein lässt, platziert der Evangelist Lukas außerhalb der Stadt: „Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist“ (24,13).

Dort in Emmaus entsteht das Neue, das das Zentrum Jerusalem in Unruhe versetzt: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss? Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück ... Da erzählten sie, was sie unterwegs erlebt hatten“ (24,32-33).
Verfrühte Auferstehung?

Am fünften Fastensonntag schon von Auferstehung reden? „Verfrüht!“, mögen manche rufen, doch: mitnichten! Denn die Auferweckung des Lazarus, der drei Tage im Grab lag, weist voraus auf die Auferstehung Jesu. Diese Auferstehung findet da statt, wo Jesus – der Galiläer, der Nazoräer, der Nicht-Städter – sich wohl fühlt: auf dem Land, bei „Lazarus aus Betanien, dem Dorf, in dem Maria und ihre Schwester Marta wohnten“.

 

Der Blick aus der Ferne auf Jerusalem

 

Betanien. Wer weiß, wie viele Menschen damals da lebten? Eine Handvoll? Betanien liegt am Osthang des Ölbergs, man kann tief hinunter in Richtung Jordan-Senke blicken. Oben am Bergkamm kommt Jerusalem in den Blick. Der Garten Getsemani, Kidrontal, Tempelberg, ganz hinten Golgotha. Der Todesort schlechthin, der doch zum Lebensort wird – das ist es, was im Kern auch die Wundergeschichte des Lazarus mitteilt: Die Erweckung von Toten ist ein Zeichen endzeitlichen Handelns, ein Geschehnis der messianischen Heilszeit, die bis ins Heute anhält.

Die Handlungsorte Jesu können vielleicht als Hinweis gelten, wo christlich zu handeln ist und wo Christentum sich ereignet: in Außenbezirken, für Menschen am Rand, in der Freiheit des Dorfes, in den Gossen der Städte. Hierher gehört die Auferstehungsbotschaft an Lazarus: „Löst ihm die Binden, und lasst ihn weggehen!“

Die Texte der Lesungen und des Evangeliums vom 5. Fastensonntag (Lesejahr A) finden Sie hier.

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