Benediktinerpater Elmar Salmann über den Rausch der Bergpredigt

Auslegung der Lesungen vom 6. Sonntag im Jahreskreis (A)

Das Christentum ist mehr als alle Moral und Ideologie, als sittlich einwandfreies Benehmen und gut situierte Bürgerlichkeit, sagt die Bergpredigt. Das heißt aber auch: Es braucht eine ganz eigene Haltung, sagt Benediktinerpater Elmar Salmann.

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Das Christentum ist mehr als alle Moral und Ideologie, als sittlich einwandfreies Benehmen und gut situierte Bürgerlichkeit, sagt die Bergpredigt. Das heißt aber auch: Es braucht eine ganz eigene Haltung, sagt Benediktinerpater Elmar Salmann.

Da geht ein fast trunkener Rausch, ein unerbittlicher Rhythmus durch den großen Abschnitt aus der Bergpredigt. Immer neu wiederholt und gesteigert springt uns dieser Ton an: die Alten, früher, bisher – Ich aber, mit ungeheurer Wucht, nicht nachlassendem Anspruch.

Das Evangelium zum Hören.

Das Christentum sei anders, mehr als alle Moral und Ideologie, als sittlich einwandfreies Benehmen und gut situierte Bürgerlichkeit, als priesterliche oder theologische Religionsverwaltung oder auch revolutionärer Schwung und politische Korrektheit. All dies werde nicht einmal dem Gebot Gottes gerecht, geschweige denn seiner Zuwendung, die in Christus Gestalt gewonnen hat, und damit letztlich auch nicht dem Gebot und Charme der Freiheit des Menschen, seiner hellen Freude am Anfangen-Können, am Neubeginn.

Die kühne Aufforderung der Bergpredigt überbietet alle diese Logiken, macht Spielräume der Freiheit und der Frische des Handelns und Daseins aus, die von den Menschen ersehnt und zugleich gefürchtet werden. Denn nichts scheint ihm verheißungsvoller und abgründiger als das eigene Selbst und seine Bestimmung zu Freiheit, zur ungeschützten Güte.

 

Trennung vom Gewohnten

 

Diese Neuheit verlangt deshalb ebenso unerbittlich eine Trennung, eine entschiedene Absetzung vom Üblichen, Gewohnten. Von welchen Vorurteilen, Vorwänden, Weltanschauungen, stets wiederholten Versatzstücken meines Redens und Tun muss ich lassen, was verabschieden, damit etwas Tieferes, eine innere Stimme, ein größerer Trost im Herzen und Handeln Raum gewinnen kann?

Der Autor
Pater Elmar Salmann war Theologieprofessor in Rom und lebt als Mönch in der Benediktinerabtei Gerleve.Pater Elmar Salmann war Theologieprofessor in Rom und lebt als Mönch in der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: P. Bartholomäus Denz

Von wie vielen Sicherheiten, scheinbaren Selbstverständlichkeiten hat Westeuropa in den letzten Jahrzehnten lassen müssen, wie viel an Neuem wagen, religiös, sozial, an Anerkennung des Fremden, bislang Unbekannten!

Der heutige Mensch mit seiner kommunikativen, erschlossenen, therapeutischen, übersetzungsfreudigen, demokratischen Einstellung, dem Wissen um die Gleichberechtigung aller, dem unendlichen Wert eines jeden Einzelnen, des Respekts für das, was fern scheint, eines Minimums an zivilem Anstand und Courage, all das ist nicht selbstverständlich und bleibt, wie wir nun sehen, zerbrechlich.

 

Eine innere Haltung

 

Und doch steckt in alldem wiederum eine Verheißung, wie sie im Neuen Testament aufblitzt: Diese Dinge sind nicht äußeres Gesetz, das den Menschen als Fremdbestimmung auferlegt wäre, sondern innere Haltung, ein Art zweiter Natur und Selbstverständlichkeit; das hier angesprochene Ethos wird elementar, prägt das spontane Verhalten. Das Gesetz erscheint als Gebot, als einem jeden Menschen angeboten, als Erinnerung und Verwirklichung seiner Freiheit und Liebenswürdigkeit, seiner Fähigkeit zu Vertrauen und Zuwendung.

Das ist das Bild, das der Bergpredigt vor Augen steht: Die Aufgeschlossenheit für den anderen, den Partner, für die Wahrheit des Sprechens und Hörens sind nicht bleierne Last, sondern gehen in das spontane Gutsein des Menschen ein. Wir verstehen nun den triumphalen Ton, die Macht der einladenden Melodie, des immer weiter fortschreitenden Rhythmus.

 

Die Sucht nach Abwertung des Anderen

 

Dennoch weiß, mit der Lesung aus dem Korintherbrief, die Bibel auch um das Gefährdete, Ohnmächtige einer solchen Vision in dieser Welt der Mächtigen. Die Weisheit des Neuen Testaments ist buchstäblich über Kreuz mit der hochfahrenden Mächtigkeit der Torheit dieser Welt, der politischen und ideologischen Mächte wie der unglaublichen Primitivität vieler Instinkte im Menschen, seiner Sucht nach Abwertung des Anderen, nach Rache, apokalyptischem Unglück und Konflikt.

Es ist, als ob im Menschen auch die Furie des Todestriebes waltete. Er ist, so die alttestamentliche Lesung, vor die Wahl von Leben und Tod, Feuer und Wasser gestellt, zwischen beiden ausgesetzt, nie gesichert. Nie ist ein kultureller Hochstand, eine zivile Errungenschaft endgültig.

 

Einladung zur größeren Freiheit

 

Je höher ein Wert ist, je größer Freiheit und Liebe zu sein scheinen, desto zerbrechlicher sind sie, von ihrer Bestreitung und dem Umkippen in ihr Gegenteil bedroht. Und doch, am Ende und immer neu lässt Paulus den Mehrwert der verheißenen Gnade und Menschlichkeit in fast hymnischer Weise siegen: Was kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat …

Ob wir Menschen unerschrocken, unbefangen, großmütig der Einladung zu größerer Freiheit folgen mögen? Vielleicht braucht es da den hochgemuten und demütigen, auf eigene Weise heiter-zuversichtlichen Anruf des Tagesgebets (in der Übersetzung von Alex Stock): „Gott, der du redliche, ehrliche Herzen als Bleibe suchst, lass uns in deiner Gnade so leben, dass du gern in uns wohnen magst.“

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