Abt Laurentius Schlieker über die richtige Art von Kritik

Auslegung der Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A)

Was, wenn es Streit gibt? Früher hieß es: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jesus sieht das anders. Womöglich strenger. Abt Laurentius Schlieker von der Abtei Gerleve sieht in den Lesungen des Sonntags Anregungen zum richtigen Streit.

 

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Was, wenn es Streit gibt? Früher hieß es: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jesus sieht das anders. Womöglich strenger. Abt Laurentius Schlieker von der Abtei Gerleve sieht in den Lesungen des Sonntags Anregungen zum richtigen Streit.

Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48). Jesus empfiehlt keinen Perfektionismus, der hat für den einzelnen Menschen und seine Umgebung nur katastrophale Folgen, versucht oft ungelöste Probleme zu verbergen und liegt im ständigen Kampf mit dem dunklen Hintergrund von quälenden Gefühlen von Schuld und Unwürdigkeit.

Wir dürfen die Aufforderung Jesu dahingehend verstehen, in der Wahrheit zu leben, die frei macht. Sie besteht in unserer Heiligkeit. „Heilig“ ist alles, was Gott gehört, was sich im Schutzraum Gottes befindet. Wir sind ihm heilig! Seine Liebe lässt nicht zu, dass er uns liegenlässt. Er will unter uns Menschen sein und auf barmherzige Weise sein „Herr-Sein“ entfalten.

 

Hassen verboten

 

Die Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Das Hassen ist im Buch Levitikus verboten, geboten sind stattdessen geduldige Verweise (1. Lesung). Aus dem Herzen den Hass zu verbannen, das schließt mit ein, sich nicht zu rächen oder im Groll steckenzubleiben. Ein klärendes Wort des Tadels als Hilfestellung kann aus der Liebe kommen. Wir machen es uns einfach, angesichts der Fehler anderer Menschen zu schweigen und sie stattdessen hintenherum zu kritisieren. Auf taktvolle Weise zu tadeln ist eine Kunst: sie erfordert Liebe und Mut, auch Demut, Zurückweisung einzustecken.

Jeder Mensch bedarf der Erkenntnis des eigenen „blinden Flecks“ durch die Korrektur anderer. Eine solche anzubringen zu müssen, ist oft ein dorniges Unterfangen. Am ehesten gelingt es in humoriger Verpackung. Ebenfalls schwierig ist es, die Grenzen unseres Gerechtigkeitssinns zu überschreiten. Mit seinem wiederholten „Ich aber sage euch“ in der Bergpredigt vermittelt Jesus mit Nachdruck seine Haltung. „Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“

 

Warum „Auge um Auge“ein Fortschritt war

 

In biblischer Zeit wurde die Einführung des Begriffs „Auge um Auge“ zum Fortschritt im Ringen um den Frieden. Es kam und kommt immer noch vor, aus Rache über den Ausgleich für eine begangene Untat hinauszugehen. Wenn eine Familie ein Tier gestohlen hat, revanchierte sich die Familie des Opfers möglicherweise, indem sie die gesamte Herde der Familie getötet hat, aus der jemand den Diebstahl begangen hatte. Damit wurde eine nicht enden wollende Spirale der Gewalt in Gang gesetzt.

Die Anordnung eines Ausgleichs durch strenge Gerechtigkeit, auch der Ruf nach ihr im Extremfall durch die Todesstrafe, ist mit der Lehre der Kirche nicht mehr vereinbar. Im Katechismus wurde erst 2018 die Ablehnung der Todesstrafe klargestellt. Die Würde der Person geht auch bei schwersten Verbrechen nicht verloren. Die Verurteilten sollen Zeit und Möglichkeit bekommen, den entstandenen Schaden zu beheben, über ihr Handeln nachzudenken und so ihr Leben zumindest innerlich verändern zu können.

 

So geht „Entfeindung”

 

Abt Laurentius Schlieker OSB.
Laurentius Schlieker OSB, Abt der Benediktinerabtei Gerleve. | Foto: Markus Nolte

Für Jesus beginnt der Weg zum Frieden mit einem ersten Schritt in die „Entfeindung“. Er nimmt die Vorstellung der strengen Gerechtigkeit auf und verwandelt sie in Barmherzigkeit und Vergebung. Indem er sagt: „Wenn dich einer auf die die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin“, setzt er ein neues Gesetz in Kraft, dass Barmherzigkeit und Vergebung unser Verhalten leiten müssen. Dieses neue Gesetz können wir nur verstehen, wenn wir die Heiligkeit und Würde jedes Menschen sehen, auch die des Sünders und des Verbrechers.

Jesus hat keinen Gesetzestext festgeschrieben, er war kein Professor der Moral. Er lehrt die Weisheit, die vom Herzen Gott kommt. Wenn wir sie verstehen und nach ihr zu leben versuchen, können in unserem Leben, wenn wir mit Einsicht um Vergebung bitten und diese auch einander mitfühlend gewähren, große Dinge geschehen.

 

„Du sollst du sein“

 

Jesus offenbart die Liebe des Vaters, die grenzenlos ist. Diese Art des Liebens, heruntergebrochen in unseren Alltag sagt: „Du sollst sein, du sollst du sein.“ Und: „Ich gebe dir, was du brauchst und was ich dir geben kann.“

Wenn wir die Worte über die Vollkommenheit, die uns an diesem Sonntag angetragen werden, aus der Freude kommen lassen, Jesus Christus anzugehören, überfordern sie nicht. Sie sind Einladung, in uns das Bild des fern-nahen Gottes zu entdecken. Unser Menschsein mit Jesus zu teilen und Anteil zu haben am Leben des dreifaltigen Gottes, das ist unser Glück. Wir sind Tempel Gottes, der Geist Gottes wohnt in uns. (2. Lesung).
Ich schlage vor, in dieser Woche füreinander darum zu beten, in der Liebe, die unser Gerechtigkeitsdenken übersteigt, zu wachsen. Dafür eignet sich Lied 346 im Gotteslob: „Atme in uns, Heiliger Geist.“

Sämtliche Texte der Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

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