Thorsten Hendricks: Politik machen mit der Bergpredigt?

Auslegung der Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr A

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Die Feindesliebe in der Bergpredigt steht an diesem Sonntag im Mittelpunkt der Lesungen. Was können die Aussagen von damals noch heute bewirken? Eine ganze Menge, sagt Pfarrer Thorsten Hendricks und legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen“ – diesen Satz soll Fürst von Bismarck einst gesagt haben. Und nach ihm wohl manch andere Politiker. Nicht nur der Bergpredigt, sondern der Bibel überhaupt gehe es um den Menschen vor Gott und um sein ewiges Seelenheil. Die Politik habe es dagegen mit der Verantwortung für die Gestaltung der Welt zu tun. Beide Bereiche sollten fein säuberlich getrennt sein, weil in beiden unterschiedliche Regeln gelten würden.

Der Weg, politische Verantwortung zu übernehmen, ist für mich aber ein zweifacher: indem wir die Welt ins Gebet nehmen – und indem wir sie mitgestalten. Gerade da, wo die politischen Entscheidungen fallen. Ich bin sicher: Von der Bergpredigt können wir alle kräftig profitieren.

Als Christen anders sein

Die Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) zum Hören finden Sie hier.

Im vorliegenden Abschnitt aus der Bergpredigt geht es um die Feindesliebe. Das ist schwer! Soll ich wirklich dem, der mich auf die eine Wange schlägt, die andere auch noch hinhalten? Soll ich dem, der mir Böses tut, keinen Widerstand leisten? Soll ich wirklich meine Feinde lieben? Es geht Jesus um die Vollkommenheit und um die Art und Weise, wie ich mit dem Gegenüber umgehe. Das ist eine hohe Kunst, die manchmal gelingt und oft misslingt.

Gerade im aktuellen Weltgeschehen merken wir, wie die Mächtigen die Schwächeren unterdrücken und so unmissverständlich klarstellen: Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren. Das ist allzu weltlich gedacht. Die Dimension Gottes ist eine andere. Wir sollen die Größe haben, zu lieben und zu verzeihen. So machen wir uns vor dem anderen nicht klein und schwach. Als Christen sollen wir eben anders sein, anders lieben und vergeben. 

Über den eigenen Schatten springen

Vielleicht mögen der einen oder dem anderen die Karnevalstage dabei helfen. In der fröhlichen Begegnung mit anderen Menschen gelingt es bisweilen besser, das Gebot der Liebe und der Vergebung zu leben. Da kann ich womöglich besser über meinen Schatten springen und aus christlicher Sicht Gnade vor Recht walten lassen.

Da hilft mir das Bild des Tempels aus der neutestamentlichen Lesung. „Der Tempel ist heilig, und der seid ihr“, spricht Paulus den Korinthern zu und damit uns heute. Vielleicht ist das eine Übung wert: meinen Körper, mein Dasein als Gebäude Gottes zu verstehen. Und: ihr gehört Christus und Christus gehört Gott.

Die Heiligkeit Gottes im Alltag

Der Autor
Thorsten Hendricks
Thorsten Hendricks ist Pfarrer in St. Franziskus Duisburg-Homberg und Dechant im Dekanat Duisburg-West. | Foto: privat

Aus dieser Perspektive kann ich versuchen, mein Alltagsleben christlicher zu gestalten und sprichwörtlich meine (zweite) Wange hinzuhalten. Das macht mich in den Augen Gottes nicht schwach, sondern stark, weil ich aus meinem tiefsten Innern heraus ein von Gott geliebtes Geschöpf bin, das auch die eigenen Feinde lieben kann.

Vor einigen Jahren hat mir ein Exerzitienbegleiter folgenden Rat gegeben: Wenn du einem Feind im Alltag begegnest, segne ihn mit dem aaronitischen Segen: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und gebe dir Frieden!“ (vgl. Num 6,24–26)

Im dritten Buch der Thora, dem Buch Levitikus, geht es im vorliegenden Abschnitt um die „Heiligkeit im Alltag“. Es tut gerade in persönlichen Krisenzeiten gut, sich das Wort sagen zu lassen: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“. Gerade in der dichten Begegnung mit Gott im Gebet oder im Gottesdienst ist dies erfahrbar. In mancher Alltagsbegegnung spüre ich die Heiligkeit Gottes durch Menschen, die mir positiv begegnen. 

Aufruf: Welt ein wenig menschlicher machen

In Corona-Zeiten hat sich das Wort „Resilienz“ herausgeprägt. Es meint die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. Das gelingt im Rückblick auf diese besonders herausfordernde Zeit manchmal gut und manchmal weniger gut. Es hilft, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass ich mich darin einübe, in Konflikten mit anderen auf mein Recht zu verzichten, damit ich etwas Größeres gewinnen kann: Frieden und Freiheit.

Mit der Bergpredigt ist wirklich keine Politik zu machen? Doch, meine ich. Gerade die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in der Welt zeigt uns, dass wir es nötig hätten, das christliche Gebot der Liebe zum Nächsten auch in unserer kleinen eigenen Welt zu leben und so die Welt ein wenig menschlicher zu machen. Weil wir ein Tempel Gottes sind, in dem Gottes guter Geist wohnt. Aus diesem guten Geist heraus sind wir eingeladen, die Welt zu verändern und zum Frieden beizutragen – und das nicht nur in diesen Karnevalstagen.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 7. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr A) finden Sie hier.

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