Ludger Bornemann über hilfreiche und gefährliche Ratschläge

Auslegung der Lesungen vom 8. Sonntag im Jahreskreis (C)

Wer zeigt mir den Weg, wenn mir die Orientierung fehlt? Manchmal können dann Floskeln wie „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ oder „Lügen haben kurze Beine“ durchaus weiterhelfen, meint Ludger Bornemann. Aber Vorsicht!

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Wer zeigt mir den Weg, wenn mir die Orientierung fehlt? Manchmal können dann Floskeln wie „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ oder „Lügen haben kurze Beine“ durchaus weiterhelfen, meint Ludger Bornemann. Aber Vorsicht!

„Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ und „Lügen haben kurze Beine“: Die ältere Generation kennt diese Sätze noch – worüber die Jüngeren nur müde lächeln. So wie man die Bauernregeln fürs Wetter in Zeiten von Klimawandel und Wetter-App auch nicht mehr ernst nehmen kann. Die klingen wenigstens noch ganz lustig: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter – oder es bleibt wie es ist.“

Vielleicht fallen manchem auch Sätze ein, bei denen der Spaß aufhört: „Ein gutes Kind gehorcht geschwind!“ – „Messer, Gabel, Schere, Licht, taugt für kleine Kinder nicht ...“ Schwarze Pädagogik, einengende Konventionen. Gott sei Dank, das ist vorbei!

 

Schluss mit dem Korsett

 

Wir haben heute an Freiheit gewonnen, seit es nicht mehr ein Modell dafür gibt, wie man leben und sich verhalten soll. Ist es nicht gut, dass wir nicht mehr in ein solches Korsett von Verhaltensregeln eingezwängt sind?

Lesungen und Evangelium vom 8. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr C) zum Hören und Lesen finden Sie hier.

Bevor man die Frage vorschnell beantwortet, kann es hilfreich sein, dem Sinn der Sprichwörter auf die Spur zu kommen. „Im Sieb bleibt, wenn man es schüttelt, der Abfall zurück; so entdeckt man den Unrat eines Menschen in seinem Denken. Lobe keinen Menschen, ehe du nachgedacht hast“. Dieses „Sprichwort“ aus der Ersten Lesung stammt vom jüdischen Weisheitslehrer Jesus Ben Sirach. Er hat seine Sammlung etwa zwischen 190 und 170 v. Chr. verfasst. Diese Sätze bewahren Natur- und Lebensweisheit.

 

Veränderungen und Wandlungen

 

Eine Gesellschaft, in der wenige lesen und schreiben konnten, war auf die mündliche Tradition von lebenspraktischem Wissen angewiesen. Und wie behält man das am Besten? Durch einen Vers, ein Rätsel oder ein Sprichwort. Das waren Hilfsmittel, um all das an die nachwachsende Generation weiterzugeben, was das Volk an Lebenswissen erworben hatte.

So entstand gebündelte Erfahrung, die Orientierung gab für die unterschiedlichsten Lebensbereiche, vom Wetter bis hin zu ethischen Lebensregeln. Dabei musste sich Israels Weisheitsliteratur immer neu bewähren. So gab es durchaus Veränderungen und Wandlungen.

 

Alltagstaugliche Ratschläge für Leser seiner Zeit

 

Wenn Lebensregeln in der Spannung von Erfahrung und neuen Anforderungen gelesen werden, dann können sie tatsächlich hilfreich sein in Zeiten von Orientierungslosigkeit. Denn sie kann genauso gefährlich sein wie erstarrte Konventionen.

„Im Sieb bleibt der Abfall zurück“ kann dann die Frage enthalten: „Wie beurteilt man einen anderen Menschen?“ Und Jesus Sirach rät zu einem vorsichtigen und klugen Urteil. Nicht auf den ersten Blick positiv oder negativ „fertig“ zu sein, sondern die „Spreu vom Weizen“ zu trennen. Lobe nicht vorschnell, sei nicht kritiklos, schau zweimal hin. Das sind alltagstaugliche Ratschläge die Jesus Sirach den Lesern seiner Zeit mitgibt.

 

Von wem kann ich mich führen lassen?

 

Ganz ähnlich klingen die Sätze aus dem Lukas-Evangelium. Wo Matthäus Jesus eine Bergpredigt halten lässt, geht es bei Lukas den Berg hinunter, in die Niederungen des Alltags. Dieselben Gleichnisworte Jesu, die in der Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums dem Irdischen weit entrückt scheinen, sind in der Feldrede des Lukas-Evangeliums in die Ebenen des normalen Daseins gesprochen, wo der Alltag ganz nahe ist.

Der Autor
Ludger Bornemann ist Rektor im Canisiushaus Münster und Geistlicher Leiter im Deutschen Verein vom Heiligen Land. | Foto: Michael Bönte
Ludger Bornemann ist Rektor im Canisiushaus Münster und Geistlicher Leiter im Deutschen Verein vom Heiligen Land. | Foto: Michael Bönte

Wenn es schon nicht so leicht ist, einen anderen Menschen zu beurteilen, dann wird es noch schwieriger, jemanden zu finden, dem ich mich anvertrauen kann. Gerade dann, wenn ich selbst nicht sehen kann, wo es lang geht. Etwa wo jemand gerade in einer Lebenskrise ist, oder als Patient im Krankenhaus, ein Fremder im neuen Land. Wie findet man den, der sich wirklich auskennt? Von wem kann ich mich führen lassen?

 

Auch Jesus musste lernen

 

„Kann ein Blinder einen Blinden führen?“ fragt Jesus. Und gibt auch gleich die Antwort: Hab keine Angst! Du hast Augen im Kopf. Beurteile den, der zu dir spricht, nicht nur nach seinen Worten, sondern vor allem nach seinen Taten. Du hast die Kompetenz zu unterscheiden: Du hast ein Gewissen, du hast deine Augen und deinen Verstand. Deshalb lauf nicht sofort zu jedem blühenden Strauch: Von Disteln, die schön blühen, gibt es keine Feigen oder Trauben. Lerne allmählich die Vorzeichen zu sehen, was am Ende wohl dabei rauskommt. Trau, schau, wem!

Manchmal bleibt die Frage: Jesus, wo stehst du denn, wenn wir in solchen unsicheren Situationen stecken? Dann können wir auf Jesus schauen, der auf der Seite der Suchenden steht – als Kritiker derer, die allzu schnell zu wissen meinen, wer sie sind und wo es lang geht. Er steht neben uns als Lernender, als der, der durch die Dunkelheiten des Nichtwissens gegangen ist. Von ihm können wir lernen hinzuschauen und so unseren Weg in seinem Licht zu gehen.

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