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Wie oft waren Kirchen und Religionen Orte der Unfreiheit, der Einengung, der Lebensbeschneidung. Der Einspruch Jesu lautet, der Sabbat solle eine Wohltat sein, gerade in Erinnerung an die schwierige und doch befreiende Geschichte Israels, erklärt Pater Elmar Salmann in seiner Auslegung.
Wer stimmte da nicht freudig zu, wenn er hört: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat? Das ist der Grundton aller Verkündigung und kirchlichen Praxis seit dem letzten Konzil wie der Wende um 1968, ein gelebter und verwirklichter Humanismus. Beide Kirchen sind darin einig: in der Ökumene des humanen Dienstes, des Anspruchs auf erfülltes Leben.
Von Kant bis Küng hin zu jeder Jugendkatechese lautet das Lied: Der Mensch ist nicht für Gott, die Mysterien, das Opfer, die Selbsthingabe auf etwas Größeres hin, da, vielmehr steht die Botschaft Jesu für das Lebbare und Liebenswerte des Lebens, dessen Steigerung und Einlösung.
Wer atmet nicht auf in der neuen Freiheit?
Hieß es nicht schon beim Kirchenvater Irenäus von Lyon (+ um 180): „Gloria Dei vivens homo“, der Ruhm und Glanz Gottes sei eben der lebendige Mensch? Wer möchte das bestreiten? Wer atmete nicht auf in dieser neuen Freiheit, erfreute sich nicht an der Gegenwart dieses zugewandten, am Menschen interessierten Gottes, wie er in Christus Gestalt gewinnt? Wer da nicht mittäte, stünde als Pharisäer schlecht da.
Aber braucht es dann noch den ganzen Aufbau an Glaubenssätzen und Mysterien wie Schöpfung, Sünde, Erlösung, Trinität, Gnade, Gottessohnschaft, die schwierigen Texte bei Paulus, Johannes, Markus in ihrer Herbheit, die Erfahrung der Fremdheit Jesu in diesen Urkunden seines Lebens?
Ist es verdreht, was der alte Katechismus sagt?
Wird Religion so nicht überflüssig, zumindest in ihrer institutionellen und sakramentalen Gestalt? Ist das nicht die gemeinsame Urnot beider Kirchen, eine unerwartete Weise der Ökumene? In einem alten Katechismus hieß es als Antwort auf die Frage, wozu wir auf Erden seien: Um Gott die Ehre zu geben und uns auf einen guten Tod vorzubereiten. Das habe ich noch vor rund 70 Jahren in der Schule gelernt. Ist das völlig verdreht?
Leben und Lehre des Paulus sind von dieser klassischen Sicht der Dinge nicht weit entfernt. Der Beginn des Ersten Korintherbriefes spricht von der Torheit des Kreuzes als dem Wasserzeichen und Drama des Christentums, der Zweite Brief an diese Gemeinde ist ganz davon geprägt. Da verkehrt sich alles: Es sind das Leiden, die Selbstüberwindung, der uns aufgegebene Weg der herben Nachfolge, der Selbstaufgabe in den Dienst, in die Anbetung Gottes, was dem Glauben dann auf überraschende Weise Halt und Glanz gibt, gegen alle Erwartung.
Was maßt sich die Religion hier an?
Paulus kann sich nicht genugtun an der Ausschreibung dieser Paradoxe, der unheimlichen Nähe inmitten der ebenso unheimlichen Ferne dieses Gottes, der viel verlangt, um noch Unerhörteres zu geben. In diese Logik der Enteignung und Rettung müsse der Mensch einwilligen. Dergleichen zu predigen und in seinem Leben zu gestalten, das sei der Zwang, der auf seiner Existenz liege, seine Demut und sein Stolz.
Aber was maßt sich die Religion hier an, geht das nicht über alles menschliche Maß hinaus, erdrückt dergleichen nicht unser kleines Leben, erstickt unsere Freude am Dasein, unterläuft alle Logik der Vernunft? Dem stimmt der Kirchenvater Tertullian (um 200) zu, wir glauben es, weil es absurd ist. Und wiederum: Wird hier nicht Religion unmenschlich?
Wenn Religion sich in Dogmatismus einmauert, wird alles schief