Ulrich Hagemann aus Warendorf stellt sich den schwersten Texten des Kirchenjahrs

Auslegung der Lesungen vom Palmsonntag (B)

Die Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu beginnt. Zum ersten Mal wird am Palmsonntag auch die Passionsgeschichte verkündet. Ulrich Hagemann aus Warendorf stellt sich der Frage: Warum immer wieder diese schweren Texte?

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Die Erinnerung an das Leiden und Sterben Jesu beginnt. Zum ersten Mal wird am Palmsonntag auch die Passionsgeschichte verkündet. Ulrich Hagemann aus Warendorf stellt sich der Frage: Warum immer wieder diese schweren Texte?

Mit dem Palmsonntag beginnt die Karwoche – deren Liturgie ist von starken Gegensätzen geprägt. Sie beginnt sehr festlich: Wir erinnern uns an den triumphalen Einzug Jesu in Jerusalem, in seine Stadt. Ihm wird gehuldigt, er wird als König betitelt, Palmenzweige werden ihm zu Füßen gelegt, die Menschen jubeln ihm zu.

Das Evangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem zum Hören und Sehen auf unserem Youtube-Kanal. Es eröffnet die Feier des Palmsonntags, in deren weiterem Verlauf die Leidensgeschichte verkündet wird (Mk 14,1 - 15,47).

Aber Jesus weiß, dass er seinem Scheitern entgegen geht. Es sind die gleichen Stimmen, die nur fünf Tage später nicht mehr »Hosanna!« rufen, sondern: »Kreuzige ihn!« Daran erinnern wir uns an diesem Sonntag. Auch dass er, als König verkleidet, verspottet und gefoltert wird, um schließlich einen qualvollen Tod zu erleiden.

In der ersten Lesung hören wir vom Gottesknecht. Der Gottesknecht wird geschlagen und wehrt sich nicht. Natürlich denke ich an Jesus, wenn ich diesen alten Text höre. Die Zusammenstellung der Leseordnung mit der Passionsgeschichte des Evangeliums legt diese Verbindung nahe. Jesus weiß, ebenso wie der Gottesknecht bei Jesaja, dass er einem grauenhaften Leidensweg entgegengeht, dass jedoch Gott ihm zur Seite stehen wird. Gleichzeitig zeigt er die Solidarität Gottes mit den Menschen, die sich nicht wehren können. Gott hat ein Herz für die Menschen, die keine Kraft mehr haben.

 

Gottes Erniedrigung

 

Im Philipper-Hymnus der zweiten Lesung zitiert der Apostel Paulus einen feierlichen Lobgesang. Er bringt Entscheidendes über Jesus Christus auf den Punkt: Jesu Kommen als Gottessohn bedeutet nicht, dass alle ihm dienen müssen. Der menschgewordene Gottessohn macht sich klein – aus freiem Willen. Er »erniedrigt sich selbst«, hält also nicht an seiner Überlegenheit fest, sondern steigt herab.

Auch hier: Gott beugt sich in Jesus Christus zu den Kleinsten herab – zu denen, die arm sind, die verfolgt werden, keine Rechte haben und gedemütigt werden. Gott stellt sich in Jesus auf eine Stufe mit denen, deren Leben in den Augen anderer nichts wert ist.
Das ist der große Unterschied zu allen weltlichen Königen und Machthabern. Eigentlich unbegreiflich, weil es unsere Vorstellungskraft übersteigt. Diese Art, König zu sein, kann uns ermutigen, Jesus nachzuahmen und uns an die Seite der Menschen zu stellen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

 

Wenn der Glaube peinlich ist

 

Der Autor
Ulrich HagemannUlrich Hagemann ist Pastoralreferent in der Gemeinde St. Laurentius in Warendorf. | Foto: privat

In der Passionsgeschichte entdecke ich mich oft wieder. Ich kann mich in manche der auftretenden Personen hineinversetzen. An den Jüngern erkennen wir, wie schwer ein Bekenntnis zu Jesus manchmal ist. Sie fliehen, einer verrät ihn. Diejenigen, welche die innigste Beziehung zu ihm hatten, werden schwach.

Ich kenne das von mir selbst: Mal verteidige ich in Gesprächen und Diskussionen meinen Glauben mit Elan, mal ist er mir peinlich und ich verrate ihn. So unangenehm es ist, sich das einzugestehen – es ist das Menschliche an diesem Geschehen. Aber es zeigt sich auch das Göttliche, die Kraft, die Jesus »Ja« sagen lässt trotz aller Angst bis in den Tod hinein. Manchmal habe auch ich einen starken Moment, wie der römische Hauptmann, ein Heide, der die Bedeutung dessen, der da hängt, erkennt: »Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!«

 

Warum gleich zweimal die Leidensgeschichte?

 

Die Passion zweimal zu hören, einmal am Palmsonntag nach dem Markus-Evangelium, dann an Karfreitag nach dem Johannes-Evangelium, ist mühsam. Wir kennen die Geschichte. Es kostet vielleicht Kraft, sich neu davon berühren zu lassen. Die Leidensgeschichte Jesu kann uns vor Augen führen, wie groß die Leiden, wie grausam der Tod Jesu war, wie groß die Erniedrigung, die er auf sich nahm. Aber müssen wir das immer wieder hören? Reicht es nicht, wenn wir dafür dankbar sind?

Ich glaube, dass es gut ist, diese Texte immer wieder zu hören. Weil ich ernst nehmen will, was wir im Glauben bekennen: Da leidet und stirbt der Sohn Gottes, der für dich und für mich Mensch geworden ist. Hier stirbt der, der das Leben ist. Das finde ich immer wieder unbegreiflich. Darum müssen wir uns immer wieder daran erinnern: Es ist sein Tod, der den Tod besiegt.

 

Das kann nicht kalt lassen

 

Wenn es stimmt, dass dieses Leiden und Sterben für uns geschah, für dich und mich, und zwar aus freier Liebe, dann kann uns dieses Ereignis nicht kalt lassen. Und: Die Jünger sind weggelaufen, sie waren verunsichert.

Wir aber haben da einen Wissensvorsprung: Wir wissen, dass Jesus nicht im Grab bleibt, sondern auferstehen wird. Sein Tod hat unseren Tod überwunden. Sein Tod gibt uns eine neue Hoffnung. Wie könnten wir diesen Tod vergessen? Wenn wir sonst vielleicht sehr schnell bei der Auferstehung sind, lädt die Heilige Woche uns ein, bewusst beim Leiden und Sterben Jesu stehen zu bleiben und es auszuhalten. Am Ende aber wartet Ostern. Ganz sicher.

Sämtlich Texte der Lesungen vom Palmsonntag (Lesejahr B) finden Sie hier.

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