Frank Vormweg über das Gleichnis vom verlorenen Sohn

Auslegung der Lesungen vom vierten Sonntag der Fastenzeit / Lesejahr C

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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn zählt zu den bekanntesten Bibelstellen. Frank Vormweg sagt in seiner Schriftauslegung, warum Gottes Maßstäbe nicht ganz ungefährlich sind.

Es war bei einer Einladung zum Abendessen. Den Gastgeber kannte ich aus dem beruflichen Kontext, seine Ehefrau lernte ich an diesem Abend kennen. Es entstand ein angeregtes Gespräch, irgendwann musste ich Auskunft geben über Schule und Studienpläne meiner Kinder – die Gastgeber fragten alles mit großem Interesse nach, da sie selbst schon kurz vor dem Ruhestand waren und die Familienphase mit Kindern Jahrzehnte zurücklag. Sie erzählten selbst stolz von einem ihrer zwei Söhne.

Als ich nach dem zweiten Sohn fragte, kippte das bis dahin lockere Gespräch, es trat eine bedrückende Stille ein. Dieser Sohn sei verschwunden, man habe keinen Kontakt mehr, sie gingen davon aus, dass er nicht sesshaft sei. Brüche im Leben sind schambesetzt, daher konnten wir nach dieser Situation nicht einfach weiterplaudern. Und auf dem Nachhauseweg dachte ich an das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Familien mit Brüchen

Die Lesungen vom vierten Sonntag der Fastenzeit (Lesejahr C) zum Hören finden Sie hier.

Unvereinbares und Widersprüchliches gehört ebenso zu den Lebenserfahrungen wie Harmonie und Einklang. Auch das christlich-bürgerliche Idealbild einer heilen Familie weist Sollbruchstellen auf. Das ist eine Realität – und deshalb ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn so bekannt: eben weil es beschreibt, was genera­tionsübergreifend immer wieder Familien getrennt und versöhnt hat.

Aber das Gleichnis vom verlorenen Sohn ist kein Lehrstück über das Lösen von familiären Konflikten. Nach menschlichen Maßstäben wachsen durch die Barmherzigkeit des Vaters doch vermutlich die Konflikte nur noch an. Es geht im Gleichnis um etwas Anderes, etwas Abstrakt-Theologisches: Gottes Versöhnung mit seiner Schöpfung. Statt Psychologie geht es um Theologie, statt Moral um Menschwerdung.

Gott ist treu

Frank Vormweg ist Hauptabteilungsleiter im Bischöflichen Generalvikariat.
Frank Vormweg ist Hauptabteilungsleiter im Bischöflichen Generalvikariat.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn steht in einem vom Evangelisten Lukas bewusst angelegten Kontext mit zwei anderen Gleichnissen. Jesus predigt über das Verlieren, das Wiederfinden und die Freude darüber. Er predigt vor Zöllnern und Sündern, also religiös und gesellschaftlich Geächteten.

Die theologische Aussage dabei lautet: Gott als Schöpfer ist treu, er lässt seine Schöpfung nicht zugrunde gehen, er segnet immer und vergibt. Gehen Menschen auch verloren – im eigentlichen, moralischen und religiösen Sinn – dann findet Gott sie und freut sich wie der barmherzige Vater im Gleichnis.

Andere Maßstäbe

Gottes Gerechtigkeit funktioniert aber nicht mit menschlicher Logik. Gottes Maßstäbe sind ganz anders als die der Menschen. Das klingt geistlich, ein bisschen fromm und ungefährlich, ist es aber nicht.

Zur Zeit Jesu hat diese Predigt Jesu zu starken Konflikten geführt. Das religiöse und gesellschaftliche System basierte auf Normen, auf Geboten und Verboten. Die religiöse Führung fürchtete angesichts solcher Worte den eigenen Relevanzverlust und das Schwinden der öffentlichen Moral. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn gesprochen: Wo käme man denn hin, wenn man das Erbe verschleudern dürfte und am Ende doch wieder in die Familie integriert würde?

Die Lesungen des Sonntags

Um die Verlässlichkeit und Gerechtigkeit Gottes geht es auch in den beiden Lesungen: Im Buch Josua wird an das erste Pessach-Mahl nach dem Zug durch die Wüste erinnert. Die Israeliten können jetzt selber Getreide ernten, das ist der Abschluss einer langen Entbehrungszeit. Das Vertrauen auf Gott hat sich bewährt.

Paulus zeichnet im Korintherbrief das Bild der neuen Schöpfung. Das Alte ist vergangen, das Neue ist geworden – diese Sätze sind bereits im Kontext der Osterbotschaft und dem Aufbruch der jungen christlichen Kirche in den Missionsgebieten geschrieben.

Versöhnung ohne faulen Kompromiss?

Hinter der theologischen Frage steckt dabei die menschliche und existenzielle Frage, wie Leben gelingen kann. Wenn Gottes Maßstäbe so anders sind, dann gilt das doch auch für seine Schöpfung: Wir können unsere Maßstäbe weiten und Unvereinbares versöhnen. Das ist eine positive Botschaft des Evangeliums.

Das ist auch eine sehr anspruchsvolle Botschaft: Wie schwer ist es bereits, über den eigenen Schatten zu springen und Fünf gerade sein zu lassen! Um wieviel schwerer ist es, sich zu versöhnen – ohne faulen Kompromiss einen Streit beizulegen. Ist das überhaupt möglich, wenn es irgendwann einmal zum endgültigen Bruch gekommen ist? Und: Wo liegt unsere Verantwortung als Christen, unseren Lebensstil mit sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Schöpfungsbewahrung zu versöhnen?

Gottes Maßstäbe sind anders. Daher können wir unsere weiten.

Sämtliche Texte der Lesungen vom vierten Sonntag der Fastenzeit (Lesejahr C) finden Sie hier.

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