Tim Schlotmann aus Coesfeld über die „herrlich unfertige Kirche“

Auslegung der Lesungen zum 1. Fastensonntag (B)

„Kehrt um! Das Reich Gottes ist nahe!“: Das ist der Aufruf Jesu im Evangelium dieses Sonntags. Doch was ist dieses Reich Gottes eigentlich? Und wohin sollen wir umkehren? Das fragt sich auch Tim Schlotmann aus Coesfeld - und versucht eine Antwort.

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„Kehrt um! Das Reich Gottes ist nahe!“: Das ist der Aufruf Jesu im Evangelium dieses Sonntags. Doch was ist dieses Reich Gottes eigentlich? Und wohin sollen wir umkehren? Das fragt sich auch Tim Schlotmann aus Coesfeld - und versucht eine Antwort.

„Jesus hat das Reich Gottes verkündet – aber gekommen ist die Kirche.“ Der Satz des französischen Bibelwissenschaftlers Alfred Loisy hat sich bei mir eingeprägt. Oft schon habe ich ihn gehört, vielfach darüber geschmunzelt. Hin und wieder habe ich ihn für nützlich befunden. Wenn es einmal allzu sehr um die Kirche selbst geht und nicht um den, den sie verkündet.

Das Evangelium vom 1. Fastensonntag (Lesejahr B) zum Hören und Sehen auf unserem Youtube-Kanal.

Aber dieser Satz kann auch als Generalabrechnung daherkommen. Mit diesem Satz lassen sich auch die kirchliche Institution und ihr Handeln grundsätzlich kritisieren und abkanzeln. Hat die Kirche etwa mit dem Reich Gottes gar nichts (mehr) zu tun? Ist das, was wir sehen und erleben, gar das Gegenteil des Gewollten und Verkündeten? Gewiss nicht!

Es lohnt sich, das Reich Gottes in seinen kirchlichen Gestalten zu entdecken und auch diese Erfahrungen lautstark zu verkünden. Denn da sind Menschen, die anderen Menschen Heimat bieten und ihnen leben helfen. Da sind Menschen, die andere aufrichten und trösten und sich nicht zufrieden geben mit ungerechten Verhältnissen. Da sind engagierte Christen, die das soziale und kulturelle Leben ihrer Städte und Dörfer bereichern und beleben.

 

Auch wenn die Zahlen zurückgehen ...

 

Auch wenn die nackten Zahlen nur vom Rückgang reden: Da sind Ordensleute und Priester, die ihr Leben in den Dienst der Frohen Botschaft stellen – Tag für Tag. Und da ist ein Papst Franziskus, der Menschen elektrisiert, weil er weiß, dass die Kirche vor allem gekommen ist, um den Menschen zu dienen. Was sich so leicht sagt, das geht ihm tatsächlich immer wieder leicht von der Hand: Menschen einladen in Kirchen, ihnen offen und herzlich begegnen, sie spüren lassen, dass sie geliebt und gebraucht sind.

Das alles sind keine Visionen und Vorstellungen einer kirchlichen Welt in ferner Zukunft. Das alles geschieht immer wieder und immer weiter. Es geschieht in dieser Kirche und durch Menschen, die sich ihr Leben ohne diese Kirche nicht vorstellen können. Nicht nur weil es eben immer schon so war, sondern weil sie spüren: Irgendwie kommt sie ja eben von ihm, der sie doch gewollt hat. Wahrscheinlich hat er sie weniger gespalten und womöglich etwas weniger pompös gewollt, aber er hat gewusst, dass die Menschen sich immer wieder an seine Worte erinnern müssen: „Kehrt um!“

 

Die Kirche – herrlich unfertig

 

Mit Umkehr ist der Wechsel der Perspektive gemeint. Wer weiß, dass der Herr ihn sendet, der ist sicher. Der braucht nicht der Angst die Macht über sich selbst zu übergeben. Im Gegenteil: Aus der Perspektive des Glaubenden und mit Jesus Gehenden ist die Schönheit dieser Welt immer neu zu entdecken. Vielleicht sogar gerade in dieser Kirche, die so herrlich unfertig ist wie jeder einzelne Mensch.

Der Autor
Tim SchlotmannTim Schlotmann ist Pastoralassistent in der Pfarrgemeinde St. Lamberti, Coesfeld. | Foto: privat

Der Satz Alfred Loisys bewahrt vielleicht vor so mancher Versuchung. Der Blick in die Geschichte genügt. Immer wieder müssen wir als diejenigen, die Kirche sind, uns fragen, ob wir das Reich Gottes auch tatsächlich auf dem Schirm haben. In der österlichen Bußzeit könnte es darum gehen: die Frage nach dem Reich Gottes wieder hereinzuholen. Auf das Gute zu schauen, das ich schaffe und das mein Herz bewegt. Aber eben nicht außer Acht zu lassen, dass ich mich manchmal vom Weg abbringen lasse.

Jesus hatte ein Ziel vor Augen. Davon war er nicht abzubringen. Der Satan konnte sich noch so sehr abmühen. Es gab auch für Jesus noch so viele Alternativen. Das Ziel blieb ihm jedoch vor Augen, es sollte ihn antreiben und ihn aus jeder temporären Müdigkeit befreien. Es wäre auch für uns in der Kirche des Jahres 2018 eine Möglichkeit: das Ziel vor Augen zu haben, um den Versuchungen zu widerstehen.

 

Mittel zum Zweck

 

Das Ziel der Christen ist das Reich Gottes. Schon ein wenig verrückt, als Unfertige immer nach dem Fertigen zu streben. Und dies auch noch beharrlich und vielleicht sogar gutgelaunt.

Wenn es gelingen sollte, wird man sich noch vielfach an Alfred Loisys Satz erinnern. Denn dann hat er eben nicht einfach in beißendem Zynismus eine kirchliche Realität gebrandmarkt. Vielmehr ist dieser Satz eine wichtiger Beitrag zu einem Verständnis von Kirche, wie es gerade das Zweite Vatikanische Konzil gewollt hat: Kirche ist Zeichen und Werkzeug, vielleicht können wir sehr vereinfacht sagen: Mittel zum Zweck.

Dass man dabei in ihr schon etwas von dem erkennen kann, worauf wir zulaufen, das ist wunderbar. Wir müssen immer daran denken: Die Zeit, die nun anbricht, endet nicht mit dem Karfreitag. Sie endet mit dem immer wieder erklingenden „Halleluja“ von Ostern. Wer dies ergriffen hat, der kann nicht anders, als eine neue Perspektive einzunehmen.