Auch Jesus musste lernen musste zu glauben, sagt Pfarrer Stefan Jürgens

Auslegung der Lesungen zum Fest der Taufe des Herrn (B)

Mit seiner Taufe durch Johannes tritt Jesus ins Licht der Öffentlichkeit. Aber was war vorher? Wusste er, dass er der Messias ist? Auch Jesus musste glauben lernen, ist sich Pfarrer Stefan Jürgens, Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster, sicher.

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Mit seiner Taufe durch Johannes tritt Jesus ins Licht der Öffentlichkeit. Aber was war vorher? Wusste er, dass er der Messias ist? Auch Jesus musste glauben lernen, ist sich Pfarrer Stefan Jürgens, Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster, sicher.

Das Evangelium vom Fest der Taufe des Herrn (B) zum Sehen und Hören auf unserem Youtube-Kanal.

„Wie Jesus glauben lernte“, lautet der Titel eines Buchs von Wilhelm Bruners. Musste Jesus glauben lernen? Wusste er nicht schon alles? Manche denken: Jesus ist doch der Sohn Gottes, daher weiß und kann er alles. Also braucht er nicht zu lernen. Wer so denkt, übersieht, dass Jesus nicht nur Sohn Gottes, sondern auch Mensch war. Er ist nicht fix und fertig vom Himmel gefallen. Er kam als Säugling auf die Welt, war Kind, er kam in die Pubertät und wurde langsam erwachsen. Als er 30 Jahre alt war, spürte er die Gewissheit: Gott sendet mich. Jesus war ein Lernender. Was er dachte, redete und tat, war das Ergebnis einer Entwicklung.

Das Kind in der Krippe konnte nicht denken, was der erwachsene Jesus dachte. Es konnte nicht wissen, dass er 33 Jahre später die Welt durch seinen Kreuzestod erlösen würde. Natürlich ist auch das Kind in Bethlehem schon Gottes Sohn. Doch in der menschlichen Dimension gibt es Entwicklungsstufen.

 

Warum Jesus so sympathisch ist

 

Für mich ist Jesus gerade deshalb so sympathisch, weil er eben nicht fertig war mit allem; er war einer, der seine einmalige Identität erst noch entfalten musste; einer, der seinen Weg zu Gott finden konnte. Auch wir sind Lernende – zeitlebens. Auch wir gehen unseren Weg zu Gott durch verschiedene Stadien. Glauben ist kein Zustand, sondern ein Weg.

Auf dem Weg zu seiner Identität ist die Taufe Jesu im Jordan ein Schlüsselerlebnis. Was er schon in frühester Kindheit gespürt hat, wird ihm jetzt zur Gewissheit: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11). Alles, was Jesus bisher von ihm geglaubt hat, wird bestätigt. Gott, auf den er zeitlebens vertraut hat, zeigt sich als Vater. Gott sagt: „Mein geliebter Sohn.“ Später wird Jesus zu Gott sagen: „Abba, lieber Vater.“

Dieses einmalige Gottesverhältnis Jesu wird in seiner Taufe bestätigt. Seitdem zeigt der Sohn Gottes, wie liebevoll der Vater im Himmel ist. In diesem Gottesverhältnis Jesu leben auch wir. Auch zu uns sagt Gott: „Meine geliebte Tochter, mein geliebter Sohn.“ Auch wir dürfen zu ihm sagen: „Unser lieber Vater.“

 

Warum wir Vorbilder brauchen

 

Jesus Christus musste glauben lernen. Wie sein Menschsein, so ist auch sein Gottvertrauen nicht vom Himmel gefallen. Es hat sich entwickelt. Menschen lernen durch Vorbild und Erfahrung, also durch Nachahmung und Reflexion. Zunächst lernen wir durch Vorbilder. Wir ahmen nach, was Eltern, Lehrer, Freunde uns vorleben. Wir übernehmen ihre Werte und Ziele, ihre Haltungen und ihr Verhalten. Bevor unser Verstand zu denken beginnt, muss das Herz gebildet werden. Und das geschieht durch Vorbilder.

Der Pädagoge Heinrich Pestalozzi hat gesagt: „Man muss die Kinder gar nicht erziehen; sie machen einem ja doch alles nach.“ Tatsächlich: Kleine Kinder wollen sein wie die Eltern, größere wollen leben wie ihre Freunde, ihre Stars und Idole.

 

Wann Autorität wichtig wird

 

Wenn wir älter und reifer werden, lernen wir durch Erfahrung und Reflexion. Wir erleben etwas und deuten es. Wir nehmen nicht alles hin, sondern nehmen unser Leben bewusst in die Hand. Wir ahmen nicht alles nach, sondern hinterfragen auch unsere Vorbilder. Wir unterscheiden, was gut ist und was nicht. Die Autorität ist uns jetzt weniger wichtig als das Argument.

Stefan JürgensStefan Jürgens ist Pfarrer der Gemeinde Heilig Kreuz in Münster. | Foto: Markus Nolte

Durch Vorbild und Nachahmung lernen alle Menschen. Durch Erfahrung und Reflexion leider sehr viel weniger. Das ist dann der Unterschied zwischen den Menschen, die sagen: „Wir haben das früher so gelernt“, und denen, die sagen können: „Ich habe selber Erfahrungen gemacht“; zwischen denen, die sagen: „Das hat man uns so beigebracht“, und denen, die sagen können: „Ich nehme mein Leben selbst in die Hand“; zwischen denen, die im Glauben Kinder geblieben sind, und denen, die gelernt haben, zu wachsen, zu reifen, sich zu entwickeln, zu unterscheiden.

 

Jesus kuschte nicht

 

Auch Jesus hat durch Vorbild und Nachahmung gelernt. Das große Gottvertrauen und die einmalige Beziehung zu seinem Vater – dafür brauchte er gute Eltern und Lehrer. Doch schon sehr früh ist er eigene Wege gegangen. Denken wir etwa an den zwölfjährigen Jesus im Tempel. Oder an seine Frage: „Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Brüder?“

Jesus Christus hat sich sehr früh eigene Gedanken gemacht. Er verstand es, Lebenserfahrungen zu deuten, zu reflektieren. Er übernahm zunächst die religiöse Praxis seiner Zeit und stellte sie dann in Frage. Er kuschte nicht einfach vor der Autorität, sondern konfrontierte sie mit der Wahrheit.

Ich wünsche uns allen, dass wir gute Vorbilder haben und selber sind. Ich wünsche uns aber auch, dass wir eigene Erfahrungen machen. Erfahrungen, die helfen zu einem reflektierten Glauben.

Alle Texte der Lesungen vom Fest der Taufe des Herrn (Lesejahr B) finden Sie hier.

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