BIBEL AM SONNTAG (27. SONNTAG/C)

Wolfgang Grünstäudl: Was heißt überhaupt „glauben”?

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Wolfgang Grünstäudl, Universitätsprofessor für Theologie des NT und Biblische Didaktik in Münster, legt die Lesungen dieses Sonntags aus.

Wer das heutige Sonntags-Evangelium ohne Irritationen liest, liest es ohne Aufmerksamkeit. Denn Lukas bemüht einen fliegenden Baum und die Brutalität der antiken Sklaverei, wenn vom Glauben der Apostel die Rede sein soll. Eröffnet wird der vorliegende Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium mit einer scheinbar ansatz- und kontextlosen Bitte der Apostel an Jesus: „Stärke unseren Glauben!“ (Lk 17,5). 

Auf diese kurze wie kryptische Bitte antwortet das spektakuläre Bildwort vom Maulbeerbaum (Lk 17,6) ebenso wie die hypothetische Erzählung vom in Haus und Hof allzeit verfügbaren Sklaven (Lk 17,7-10). Es lohnt also, diese drei Ankerworte etwas näher zu betrachten.

Auffällige Wortwahl von Lukas

Die Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C zum Hören finden Sie hier.

Das Verb, das Lukas hier verwendet, gehört zum sogenannten Vorzugsvokabular des dritten Evangeliums, wird also von Lukas auffällig häufiger verwendet als von Markus oder Matthäus. Wörtlich bedeutet es in etwa „hinzustellen“, „ergänzen“, wie zum Beispiel in der Einleitung zum Gleichnis von den Talenten: „Als sie das hörten, sagte er ihnen ergänzend ein Gleichnis“ (Lk 19,11), das heißt Jesus erzählte auch noch ein Gleichnis nach der aufsehenerregenden Begegnung mit Zachäus in Lk 19,1-10. 

Ähnlich sendet der Weinbergbesitzer im Gleichnis von den bösen Weinbergpächtern – „ergänzend“ zu dem erfolglos zuerst gesandten – einen weiteren Sklaven in seinen Weinberg (Lk 20,11) und auch noch einen dritten (Lk 20,12), ehe er dann den Plan fasst, seinen Sohn, „den Geliebten“ (Lk 20,13) in den Weinberg zu senden. Schließlich kann Lukas mit demselben Begriff auch von Herodes Antipas sagen, dieser habe zu allem anderen von ihm verübten Übel auch noch die Gefangennahme Johannes des Täufers „hinzugefügt“ (Lk 3,20). 

Jesus wendet sich an die Apostel

Besonders nahe an der Bitte der Apostel sind aber die Aufforderungen Jesu, sich an den Raben und Lilien ein Beispiel zu nehmen: Denn niemand kann zu seinem Leben auch nur ein kleines Stück hinzufügen (vgl. Lk 12,25/Mt 6,27), während diejenige, die das Reich des Vaters sucht, das Übrige ergänzend erhalten wird (Lk 12,31/Mt 6,33). Kurz: Die Apostel bitten darum, dass zu dem, was sie bereits besitzen, Glaube hinzugefügt werde. Die Antwort Jesu hört darin die Vermutung „Wir besitzen schon Glauben!“ und widerspricht ihr: Wenn die Apostel zumindest minimalen Glauben hätten, wären sie in der Lage, den Bäumen zu befehlen.

Es ist nicht ohne Brisanz, dass es ausgerechnet um den Glauben der Apostel geht, einer Gruppe also, die Lukas unter den Anhängerinnen und Anhängern Jesu besonders hervorhebt. Zunächst werden alle Jünger angesprochen (Lk 17,1; vgl. 16,1), wobei andere Gruppen – wie etwa die Pharisäer (vgl. Lk 16,14) – bei Lukas weiterhin als anwesend (und zuhörend) mitgedacht werden müssen. Es sind aber die Apostel, die angesichts der Forderung nach radikaler Vergebungsbereitschaft (Lk 17,4: „siebenmal am Tag“) den Bedarf nach einem Mehr an Glauben anmelden. 

Was den Aposteln fehlt

„Glaube“ (griechisch „pistis“) wird hier als Befähigung zum Erfüllen eines Auftrags verstanden und man kann fragen, ob eine Übersetzung mit „Treue“ oder „Zuverlässigkeit“ nicht näher an der lukanischen Intention läge (vgl. Lk 12,44; 16,10 und 19,17). Den Aposteln wird nun nicht tröstend verheißen, dass ihnen Fehlendes hinzugegeben würde (vgl. Lk 12,31), sondern attestiert, dass ihnen selbst die elementaren Grundvoraussetzungen fehlen. Ihr Glaube erreicht nicht einmal die Größe eines Senfkorns. 

Mehr noch: Mit einem Gleichnis verstrickt Jesus die Apostel in die Logik von Auftrag und Ausführung. Die Frage „Wer von euch?“ erheischt zunächst Zustimmung zum Selbstverständlichen – Herren fordern von Sklaven unbedingten Dienst und danken nicht (Lk 17,7-9) –, um dann in einer überraschenden Wendung die Perspektive zu wechseln: Wer Sklave ist, hat zu dienen und keinen Dank zu erwarten (Lk 17,10).

Die harten Worte Jesu

Es sind harte Worte, mit denen der lukanische Jesus seine Apostel anspricht. Jesu Worte bedienen sich in ihrer Metaphorik zudem der brutalen Realität der Sklaverei: Einem Sklaven wird nicht gedankt, sein Wohl hat gegenüber dem des Herrn unbedingten Nachrang und seine Existenz steht ganz im Zeichen des „Nutzens“, den er seinem Herrn bringt.

Die irritierende Schärfe der Antwort Jesu verweist zurück auf den Auslöser der Frage der Apostel: der Forderung nach radikaler Vergebungsbereitschaft (Lk 17,4). Dieser Auftrag „des Herrn“ kennt keine Kompromisse.

Sämtliche Texte der Lesungen vom 27. Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr C finden Sie hier.

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